Eine lebensverändernde Geschichte

Eine Person schreibt einen Text.

Eine lebensverändernde Geschichte

In sechs Schreibwerkstätten machten sich die Teilnehmenden des WUK m.power Pflichtschulabschlusskurses an das Verfassen ihrer eigenen Geschichten. Entstanden sind viele spannende, beeindruckende und lehrreiche Texte. Im Mai wurde hier bereits die erste Geschichte veröffentlicht, nun folgt eine weitere Erzählung.

von Mahmud Khatab

An einem Feiertag stand ich in der Früh auf und wollte für die Prüfung, die ich am nächsten Tag hatte, lernen.

Mein Vater stand zwei Stunden nach mir auf. Er sagte mir, dass er zu meiner Tante gehen musste. Danach stand meine Mutter auf und fragte mich, ob ich wusste, wo mein Vater war. Ich sagte, dass er zu seiner Schwester gehen musste. Nach drei bis vier Stunden rief mein Vater mich an und sagte, dass er mit den Erledigungen bei meiner Tante fertig war. Er sagte auch: „Zieh dich um und sag der Mutter, dass sie sich auch umziehen soll!“ Er wollte, dass wir gemeinsam etwas Besonderes machen. Nach fünf Minuten waren wir bereit, ich ging mit der Mutter nach draußen, und wir stiegen in unser Auto ein. Nach einer Stunde Autofahrt fragte der Vater, ob wir etwas essen wollten. Die Mutter sagte: „Ja, warum nicht?“

In diesem Moment sahen wir ein Restaurant und blieben sofort stehen. Mein Vater ging rein ins Restaurant und wollte Essen für uns bestellen. Nach fünf Minuten, in denen wir auf meinen Vater warteten, passierte das schlimmste Ereignis in meinem ganzen Leben. Es passierte, was wir uns in unserem ganzen Leben nicht vorstellen konnten. Plötzlich fiel eine Bombe herunter und zwar neben das Restaurant. Wir sahen im ersten Moment nur Feuer – das war die schwierigste Situation in meinem Leben. Danach wollten wir mithilfe von Leuten die Leben von anderen retten, aber wir konnten nicht alle retten. Mein Vater war einer dieser Menschen, die wir nicht retten konnten. Wir brachten ihn aber sowieso ins Krankenhaus und dort geschah die zweitschwierigste Situation, als der Arzt mir sagte, dass mein Vater starb. Ich wollte und konnte dem Arzt nicht glauben und ging sofort direkt zu meinem Vater und redete mit ihm, aber er antwortete nicht. Ich musste eigentlich wissen, dass mein Vater nicht mehr leben konnte, weil er sehr schwere Verletzungen hatte. Ich hatte aber die Hoffnung, dass er noch am Leben war, weil ich erst dreizehn und noch nicht mit dem Tod konfrontiert war, und weil er zu mir sagte, als er das letzte Mal im Krankenhaus war: „Mahmud, mein Sohn, ich werde dich niemals in meinem Leben verlassen.“ Ich wusste, dass mein Vater sehr ehrlich war und nicht log, deswegen machte er das, was er sagte. Letztes Mal sagte er den gleichen Satz zu mir, aber er konnte nicht ehrlich sein, weil der Tod kam, und er konnte gar nichts dagegen machen.

Drei Tage später ging der Schock und die Ideen kamen. Also sagte meine Mutter zu mir, dass wir nicht weiter in Syrien leben konnten, weil es dort Krieg gab und ich sehr klein war und nicht weiter lernen oder studieren konnte.

Sie sagte auch, dass wir nach Europa flüchten sollten, weil man dort lernen und studieren konnte. Nach einer Woche waren wir bereit, von Syrien nach Europa zu flüchten. Wir gingen mit einer Person, die ein Freund von einem Freund meines Vaters war, in die Türkei, wo es sehr kalt und dunkel war. Die Person arbeitete im Menschenschmuggel. Von der Türkei mussten wir mit dem Schlauchboot über das Meer nach Griechenland fahren. In Griechenland mussten wir einen anderen Schlepper (Gazi) treffen, der zwischen der griechischen und mazedonischen Grenze arbeitete, damit er uns nach Mazedonien schmuggeln konnte. Danach trafen wir eine riesengroße Menschenmenge in Skopje, die auch nach Deutschlang gehen wollte. Unser Ziel war es, nach Dänemark zu flüchten, weil dort unsere Verwandten waren, aber wir gingen mit dieser Gruppe durch ganz Mazedonien und Serbien zu Fuß. Dann riefen wir einen Schlepper an, der ein Freund von Gazi war. Gazi gab uns seine Nummer.

Wir warteten neun Tage in der Nähe von der serbisch-ungarischen Grenze mit diesem Schlepper, weil es keinen Weg zum Schmuggeln gab. Am zehnten Tag gingen wir durch einen Fluss über die Grenze und stiegen in ein Auto in Ungarn ein. Dieses Auto gehörte dem Schlepper und er sollte uns in die österreichische Hauptstadt (Wien) bringen. Er machte es aber nicht und ließ uns in einem Dorf aussteigen, das in der Nähe der österreichischen Grenze war. Er wollte nicht mehr mit dem Auto fahren, weil er Angst vor der Polizei hatte und sagte zu uns: „Ich kann nicht nach Wien fahren, weil es dort so viel Polizei gibt, und wenn sie uns stoppen und kontrollieren wollen, dann passiert mir etwas Schlimmes! Ich muss mindestens fünf Jahre ins Gefängnis, wenn sie wissen, dass ich Schlepper bin und außerdem muss ich mindestens 5000€ zahlen und das werde ich nicht machen. Euch kümmert das nicht, weil euch nichts passieren kann, weil ihr flüchten wollt. Im schlimmsten Fall schicken sie euch wieder nach Ungarn.“ Wir stiegen aus dem Auto aus und wollten zwei Taxis finden, damit wir nach Wien, speziell in das Hotel Katriena, fahren konnten. Wir fanden aber kein Taxi, sondern ein Hotel. Wir gingen direkt zu dem Hotel und wollten zwei Taxis bestellen. Wir fragten den Rezeptionisten, ob er uns zwei Taxis rufen könnte und er sagte: „Ja, gerne, warten Sie bitte!“ Wir dachten, dass er für uns zwei Taxis bestellte, aber eigentlich rief er die Polizei statt der Taxis an. Die Polizei kam, brachte uns ins Gefängnis und fragte uns, warum wir flüchten wollten und in welches Land. Wir sagten, dass wir wegen des Krieges flüchteten und entweder in Deutschland oder Dänemark leben wollten, weil wir dort Verwandte hatten. Sie sagten uns: „Wir können euch nicht einfach hierlassen und auch nicht nach Deutschland oder Dänemark schicken.“ Die Polizei sagte uns, dass wir nur zwei Möglichkeiten hätten: entweder in Österreich zu bleiben oder sie würden uns nach Ungarn schicken. Wir entschieden uns dafür in Österreich zu bleiben, weil wir wussten, dass wenn wir wieder nach Ungarn gehen würden, uns die gleiche Situation passieren würde. Wir machten einen Fingerabdruck und blieben in Österreich.

Der Tod meines Vaters und unsere Flucht nach Europa änderte schon mein Leben, und ich lernte viele Dinge und auch viele Wertvorstellungen von dieser Geschichte.

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