EXTR-Activism

© Jacque Njeri, Instagram @fruit_junkie

EXTR-Activism

Dekolonialisierung des Rohstoffabbaus im Weltraum

Saskia Vermeylen über aktuelle Begehrlichkeiten im Raumfahrt Sektor anlässlich der Ausstellung "EXTR-Activism" in der Kunsthalle Exnergasse.

Baustelle ist Realität und Metapher. Ein Ort des Unfertigen und des Übergangs, des Verschwindens und Entstehens, des Umbruchs und des Aufbruchs. Es ist ein Ort in Bewegung.

In den kommenden Monaten beschäftigen wir uns mit den Baustellen, die uns umgeben – in der Gesellschaft, am Arbeitsplatz, in der Umwelt … Wir bedenken, was umgebaut und was abgerissen werden soll, untersuchen Bruchstellen und graben nach Alternativen.

Dr. Saskia Vermeylen widmet sich in diesem Text der Baustelle Weltraum.

***

Die Erforschung und Nutzbarmachung des Weltraums sind durch die Impulse und das Wachs­tum des kommerziellen Raumfahrtsektors im Wandel begriffen. Die Privatisierung der Raum­fahrt wird von privaten Unternehmen befeuert, die den Weltraum aufgrund ihres unhinterfragten Anspruchsrechts auf dessen Ressourcen als nächste große Destination im Rahmen ihrer expansionis­tischen, kapitalistischen, merkantilistischen und kolonialen Ideologie auserkoren haben. Das inter­nationale Weltraumrecht, in dessen Mittelpunkt der Weltraumvertrag von 1967 („Outer Space Treaty“) steht, war stets bestrebt, den Weltraum und seine Ressourcen zu friedlichen Zwecken und zum Nutzen der Menschheit zu schützen, unabhängig von nationalen, technologischen und finanziellen Kompetenzen. Diese Kernprinzipien stehen jedoch unter dem Druck eines neuen Raumfahrtsektors, der zunehmend dazu neigt, den normativen Stellenwert der Erhaltung des Welt­raums zum Nutzen der gesamten Menschheit und zur Bewahrung einzigartiger planetarischer  Ökologien und Lebensräume vor Verschmutzung zu verwerfen. Stattdessen setzt sich der kommer­zielle Raumfahrtsektor dafür ein, dass nationale Rechtsvorschriften und unilaterale Vereinbarungen eine größere Rolle spielen. Ein Hauptaugenmerk liegt dabei auf rechtlichen Fragen in Bezug auf das Eigentum von Weltraumressourcen und die Rechte an menschlichen und robotischen Siedlungen,  beispielsweise auf dem Mond und dem Mars.

Die Begehrlichkeiten

Gleichzeitig hat sich auch die Weltordnung seit Inkrafttreten des Weltraumvertrags in der Ära des Kalten Krieges erheblich verändert. Erstens gibt es neue Raumfahrtnationen, darunter China mit seiner wachsenden unilateralen Vormacht­stellung. Zweitens ergreifen kleinere Staaten wie Luxemburg die Gelegenheit, sich zu einem  Drehkreuz für den privatwirtschaftlichen Sektor zu entwickeln. Sie verabschieden Gesetze, die die private und kommerzielle Nutzung von Boden­schätzen vorantreiben, indem sie das Privateigen­tum an den im Weltraum abgebauten Ressourcen regeln. Drittens führt das zunehmende Bewusstsein, dass der Raumfahrtsektor einen Beitrag zu nach­haltiger Entwicklung leisten kann, zu einer neuen Generation von Raumfahrtinitiativen im globalen Süden, wie sich etwa in den politischen Ambitio­nen der African Space Agency unter der Schirmherr­schaft der Afrikanischen Union zeigt. Viertens  haben die wichtigsten etablierten Akteur_innen in der Raumfahrt, insbesondere die USA, ihre Raum­fahrtpolitik bereits an die neue kommerzielle Raumfahrtära angepasst. So erlaubt zum Beispiel der „SPACE Act“ von 2015 US-­Bürger_innen,  die Asteroiden­ oder Weltraumbergbau betreiben, die gewonnenen Ressourcen zu besitzen, zu trans­portieren, zu nutzen und zu verkaufen.

Auch die zivile Nutzung des Weltraums gerät zu­nehmend unter Druck. Der Weltraum wurde schon immer für nicht­offensive militärische  Zwecke wie Kommunikation und Navigation  genutzt. Mittlerweile ist er jedoch zu einem um­kämpften, von Aufrüstungsplänen bedrohten Umfeld geworden, vor allem seitens Russlands und Chinas. Die wachsende Dominanz neuer Weltraum­ akteur_innen führt zu einer immer engeren  Verflechtung zwischen militärischen, zivilen und kommerziellen Raumfahrteinrichtungen. Das  Fehlen von Vorschriften und anerkannten internationalen Normen für ein verantwortungsvolles Agieren im Weltraum bereitet einer gefährlichen Mischung aus einer offensiven Bekämpfung gegne­rischer Raumfahrtambitionen und einer aggres­siven Weltraumpolitik den Boden. Darüber hinaus wird die sichere Nutzung des Weltraums durch Raketen­ und Satellitenschrott, der in der Umlauf­bahn kreist, zunehmend gefährdet. Es bedarf neuer Regulative und Gesetze, um nicht nur den Weltraummüll zu verwalten und eine faire Kon­trolle des Flugverkehrs zu gewährleisten, sondern auch, um die Erde gezielt vor den Risiken einer (Kreuz­-) Kontamination zu schützen.

Die Ausstellung

Die Ausstellung „EXTR­-Activism“ in der Kunsthalle Exnergasse reagiert auf diese Herausforderungen im Rahmen einer künstlerischen und aktivistischen Reflexion über den heute stattfindenden kommer­ziellen Wettlauf um die Ausbeutung mineralischer Vorkommen im Weltraum. Die Ausstellungsbeiträge hinterfragen, welche Rolle der euro­amerikani­sche Rechtspositivismus bei der Regulierung von Bergbau und Rohstoffabbau über Zeit  und Raum hinweg gespielt und damit die ver­fügbaren Ressourcen auf der Erde – und nun auch darüber hinaus – an ihre Grenzen ge­bracht hat. Mit den eingeladenen Künstler_in­nen aus dem globalen Norden und dem  globalen Süden werden die Bezüge zwischen dem „alten“ kolonialen Extraktivismus auf dem Planeten Erde und den neuen Ausformungen eines kolonialen Extraktivismus im Weltraum sichtbar gemacht und interpretiert.

Die für diese Ausstellung ausgewählten Kunst­werke untersuchen die Begriffe Extraktivismus und Neokolonialismus der kommerziellen Raumfahrtära vor dem Hintergrund der Ent­wicklung eigener Raumfahrtprogramme in  afrikanischen Ländern, insbesondere in Süd­afrika und Nigeria. Das wiedererwachte  Interesse der alten Weltraummächte an Welt­raumkolonien auf dem Mars wird dieser Ausweitung des Weltraumprogramms gegen­übergestellt. Im Fokus steht dabei das Dilemma, ob wir den Weltraum vor weiterer Kolonisierung schützen oder die Schwelle zu einer fortgesetzten Ausbeutung und Umwelt­zerstörung – und damit einem neuerlichen kolonialen Gerangel um natürliche Ressourcen – überschreiten sollen.

Die Ausstellung unternimmt den Versuch, die Weltraumforschung, den Extraktivismus sowie das Weltraumrecht mit ungehörten oder zum Schweigen gebrachten Stimmen und  Geschichten aufzuladen. Sie stellt eurozentri­sche Kategorien in Frage und erzählt die  Geschichte des Extraktivismus und der Raum­fahrt aus der Perspektive der Afronaut_innen neu.

Das panafrikanische Raumschiff

Schauplatz der Ausstellung ist ein panafrikani­sches Raumschiff, das Afronaut_innen mit  der Mission zum Mars schickt, dem Kolonialis­mus und Extraktivismus auf dem Mond und dem Mars Einhalt zu gebieten. Während ihrer Reise entwerfen die Afronaut_innen eine  neue Geschichte und Zukunft der Weltraum­forschung und bringen ein panafrikanisches Weltraumrechtsmanifest hervor, das der  Ausbeutung von Menschen sowie nicht­ mensch licher und mehr­als­menschlicher  Spezies ein Ende setzt. Die Ausstellung geht der kontrafaktischen Geschichte des Wettlaufs  im Weltraum, wie wir sie kennen, auf den Grund. Sie fragt, wie ein Weltraumrecht ausse­hen würde, das sich mit den Lehren aus dem terrestrischen Extraktivismus ernsthaft ausein­andergesetzt hat. Die Erkundung der Zukunft anhand einer alternativen Vergangenheit lässt ein neues Bild entstehen: Was wäre, wenn ein Mensch aus Kenia den ersten Schritt auf dem Mond gesetzt hätte? Wie würden sich dann das Weltraumrecht und die Regulierung der Bodenschätze im kommerziellen Wettlauf um den Weltraum wohl entwickeln?

Text: Dr. Saskia Vermeylen
Saskia Vermeylen unterrichtet an der Law School, University of Strathclyde, Glasgow, Schottland.

Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung

Preview mit Ausstellungsführung
Mi 9.2.2022, 16.00 Uhr

Soft opening
Mi 9.2.2022, 17.00 – 21.00 Uhr

Symposium "New space law manifesto"
& Film-Screening "Afronauts" (2014, Nuotama Bodomo)

Sa 12.3.2022, 10.00 – 12.00 Uhr

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Link

EXTR-Activism - Entkolonialisierung des Weltraumbergbaus

Do 10.2. bis Sa 12.3.2022, Kunsthalle Exnergasse

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