Überlebensgrundlage Live

Archive im WUK (c) Martina Mlcuchova

Überlebensgrundlage Live

Woran es fehlt: Geld und Wertschätzung für die Kultur

Amira Ben Saoud über das Kulturschaffen und -konsumieren im Internet und fehlende Wertschätzung für die Kultur.

Während der Corona-Krise hat sich das ganze Kulturschaffen und -konsumieren ins Internet verlagert. Doch zeigt dieser erzwungene Online-Turn nur, woran es wirklich fehlt: Geld und Wertschätzung für die Kultur.

Ich bin ja keine Zukunftsforscherin, spiele aber trotzdem manchmal mit dem Gedanken, dass irgendwann alles im Digitalen möglich sein könnte. Dass ich es spüren werde, wenn mir beim virtuellen Konzertbesuch die ekstatisch tanzende Person vor mir immer unangenehm auf die Zehen hüpft, dass die Schlange beim Bierholen unerträglich lange und das Schlagzeug zu laut ist. Und dass es trotzdem oder gerade deswegen das beste Konzert aller Zeiten ist. Aber noch ist diese Vorstellung, im wahrsten Sinne des Wortes, Zukunftsmusik.

AVEC im WUK (c) Alex Galler

Heute kann das Live-Erlebnis, egal ob bei einem Konzert, einer Ausstellung oder einer Lesung, mit all seinem Nebeneinander, Wirrwarr, mit seiner Polyphonie und seinen Dissonanzen, mit seiner Atmosphäre und Körperlichkeit, von der digitalen Welt noch nicht reproduziert werden. Selbst wenn Streams dem Publikum erlauben, in einer vermeintlichen Echtzeit zu kommentieren, werden diese Kommentare ja doch nacheinander, nicht nebeneinander abgespielt. Es versammeln sich Individuen, die vor einem Rechner sitzen und erst online zur Masse addiert werden, während sie live Teil dieser Masse sind, Teil einer Entität, die für die Dauer eines Events ein Eigenleben, eine Dynamik entwickelt. Nimmt man der Kultur ihre Stätten, bricht – wie wir gerade durch die Corona-Krise sehen –, alles ein.

Im "echten" Leben wirtschaften

Im Internet haben sich identitätsstiftende Kulturen etabliert – genauso identitätsstiftend wie es früher für junge Leute war, sich nach langem Sparen eine lebensverändernde Platte zu kaufen, von der sie oder er bis dahin nur vom Hörensagen und aus obskuren Fanzines wusste. Das Internet ermöglicht Menschen heute, Teil von Communities zu sein, die über Kontinente verteilt sind. Künstler_innen können ihr Publikum ohne Intermediäre (Social Media, Messenger etc.) direkt erreichen, ein gutes TikTok-Video führt vielleicht zum Grammy. Doch hat das Internet Kulturschaffenden noch keine Möglichkeit, kein Tool geboten, nur annähernd dasselbe Geld zu verdienen wie bei Live-Auftritten. Wer vom Kulturproduzieren leben will, muss sich in den meisten Bereichen ins sogenannte „echte Leben“ begeben. Filme spielen nur Geld ein, wenn sie in Kinos laufen. Autor_innen verdienen nur etwas, wenn sie Lesereisen machen, Musiker_innen, wenn sie Konzerte spielen. Bildende Künstler_innen müssen ausstellen, um in weiterer Folge zu verkaufen. Die Zeiten, in denen vom reinen Produkt gelebt werden konnte, von der Platte oder CD, vom Buch, sind – wenn es sie denn überhaupt je gab – vorbei. Wenn das „Livesein“ unmöglich ist, hat das für viele Künstler_innen und Venues die Folge, dass bald das „Alivesein“, das Überleben, unmöglich wird.

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Das Vermissen der Rituale

Es geht aber nicht nur ums Geld, es geht um die Inhalte, das Gezeigte. Viele Kunstformen leben von einer Interaktion, von einer Partizipation, die sich momentan nicht via Stream abbilden lässt. Ein gutes Beispiel ist das gerade sehr populäre immersive Theater, das ironischerweise wiederum Anleihen aus der Virtual Reality nimmt. Wo wir auch beim Publikum wären. Es macht nicht nur etwas mit Performer_innen, wenn sie in leeren Sälen auftreten, sondern auch mit dem Publikum. Neben den offensichtlichen Unterschieden, die ich vorher schon angerissen habe, ist es auch interessant, über die Codes nachzudenken, die mit realen Orten verbunden sind. Wir können uns jetzt total verkatert eine Oper im Stream reinziehen, während wir in einem versifften Pyjama Nachos im Bett essen. Im „echten Leben“ könnten wir ein „Haus der Hochkultur“ so nicht betreten. Dieses Wegfallen von Hierarchien, diese neue Zugänglichkeit ist einerseits absolut positiv und interessant, andererseits vermissen gerade viele Menschen genau diese Codes, die Regeln, die Rituale, die mit dem Besuch unterschiedlicher Stätten verbunden sind.

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Der Wert der Kultur on- und offline

Das mag der Gewohnheit geschuldet sein; das Ritual ist nicht unbedingt ein Wert an sich. Doch der Online-Turn, von dem jetzt alle reden, erweist sich in seiner jetzigen Ausformung als keine Alternative. Das Überangebot von gestreamten Konzerten, Vernissagen, Lesungen, die gerade im Internet abgehalten werden, ist sowohl für Produzent_innen als auch für Konsument_innen unbefriedigend bis demütigend. Das Zusehen ist unbefriedigend – es funktioniert nicht, das, was vorher an realen Orten betrieben wurde, 1:1 im Netz zu reproduzieren. Der Wechsel in ein anderes Medium wird von den wenigsten Künstler_innen be- und durchdacht. De facto beobachten wir im Moment eine ortsunspezifische Flut von Bildern und Videos. Was daran besonders zukunftsweisend sein soll, muss man mir erst erklären. Für Künstler_innen ist es wiederum demütigend, ihr Schaffen größtenteils gratis oder für kleine Spenden ins Netz stellen zu müssen, um sich im Gespräch zu halten. So wird das nichts mit spannenden Formaten.

Um künstlerische Risiken eingehen zu können, braucht es on- wie offline finanzielle Sicherheiten für Kulturschaffende und jene Orte (Beisl wie Website), die ihnen eine Bühne bieten. Das Publikum muss lernen, dass Kultur nicht gratis ist, egal, wo sie sich abspielt.

 

Amira Ben Saoud (*1989) ist Kulturredakteurin bei Der Standard. Sie war Chefredakteurin des Popkulturmagazins The Gap und Programmverantwortliche des feministischen RRRIOT Festivals.

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Text von Lukas Meschik

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