Neue Europäische Tragödie.

Bühne mit zwei Wassertanks in denen jeweils eine nackte Frau ist.
© Christa Pertl

Neue Europäische Tragödie.

Oder: Die Komplexität von Hoffnung und Sicherheit.

Was ist Sicherheit? Die bloße Abwesenheit von Furcht und Migration, oder vielmehr die Teilnahme an demokratischen Entscheidungen und politischer Gestaltung jenseits des Nationalstaats? In Teil 3 der „Neuen Europäischen Tragödie“ zeichnen God’s Entertainment bei WUK performing arts die Entwicklung des Sicherheitsbegriffs aus realpolitischer und künstlerischer Perspektive nach.

Warum habt ihr das Stück „Neue Europäische Tragödie“ genannt?

Die tatsächlichen Tragödien finden nicht hier und jetzt, sondern woanders statt, aber Europa spielt die Hauptrolle in diesen Tragödien. Auf der einen Seite als Kontinent, der seine Geschichte, sein Kapital und seinen Ruhm anhand der Tragödie der Anderen schreibt bzw. erntet, und auf der anderen Seite als bloßer Zuschauer dieser Tragödien. Europa braucht nicht in künstlichen Betroffenheitsjargon zu verfallen, uns die Schieflage der europäischen Freiheit und Menschenrechte vor Augen zu führen. All das, wofür Europa steht und nach außen repräsentiert, zeigt sich als Verhängnis, als europäische Tragödie für die Anderen.

Oder tiefer gefragt, wie es bereits vor 60 Jahren Jean Paul Sartre im Vorwort zu Frantz Fanons Buch "Die Verdammten dieser Erde" tat: Und was tut Europa? Dieses Geschwätz von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Liebe, Ehre, Vaterland, was weiß ich. Das hindert uns nicht daran, gleichzeitig rassistische Reden zu halten: dreckiger N[...], dreckiger Jude, dreckiger Araber.1 Liberale und zarte Seelen – mit anderen Worten, Neo-Kolonialist_innen – geben sich schockiert über diese Inkonsequenz. Ob aus Irrtum oder schlechtem Gewissen: nichts ist bei uns konsequenter als ein rassistischer Humanismus, weil Europäer_innen sich nur dadurch zu Menschen haben machen können, weil sie Sklaven und Monstren hervorbrachten.

Graffiti von seilspringenden Mädchen, Text im Bild: "Wir haben keine Zeit für das Theaterstück aber dafür habt ihr Sicherheit!"
© God's Entertainment

Was bedeutet es, Sicherheit zu haben?

Diese Frage haben wir uns auch oft gestellt, weil der Begriff Sicherheit so komplex und umstritten ist. Nationalistische Tendenzen jonglieren mit dem Thema Sicherheit, in dem sie mehr Sicherheit versprechen und dabei das Gefühl der gelebten Unsicherheit erzeugen. Dieses nationalstaatliche mehr an Sicherheit lässt sich folgendermaßen erklären: In Sicherheit zu leben ist ein Menschenrecht, aber dieses Recht muss von den Anderen, wie Flüchtlingsfigur, wie Homosexualität, wie Moslem, ..., abgekoppelt werden. Sicherheit wird somit zum Paradox, sie erscheint als Fundament der Menschenrechte und zugleich als Krise dieser Rechte. Eine Sicherheitsgewährleistung wird dann nur bestimmten Gruppen angeboten und ist nur an die Menschenrechte des Nationalstaates gebunden. So bleibt es zu fragen: Wie kann man von dieser Art der Sicherheit sicher sein?

Warum fühlt sich Österreich ständig davon bedroht unterzugehen?

Oft reicht eine einzelne politische Thematik, die alles andere ausblendet und über alles andere entscheidet. So ist seit 2015 das Thema Migration als einziges Kriterium für den politischen Kompass Österreichs verantwortlich. Alle anderen Themen scheinen irrelevant zu sein. Um das Gefühl der Bedrohung und des Untergangs aufrechterhalten zu können, werden einfach sämtliche anderen Themenkomplexe mit Migration, Verschwörungstheorien oder konstruierten Vergleichen erklärt. Zurzeit ist Österreich, gemeinsam mit Ungarn, Polen, Italien und Kroatien, Vorreiter, wenn es um das Zeichnen von Untergangsszenarien und den Verlust des abendländischen Komforts geht. Im übertragenen Sinne kann man heute von Verschwörungsideologien sprechen, denn es geht bei einer Verschwörungsideologie nicht darum, was genau man glaubt – sondern um die Rechtfertigung der eigenen Reaktion darauf. Verschwörungsideologien wollen keine Erklärungen für die Geschehnisse und Verwerfungen in dieser Welt, das ist nur austauschbares Mittel zum Zweck. Verschwörungsideologien bestimmen das Handeln ihrer Anhänger_innen, um vermeintliche Gegenmaßnahmen zu legitimieren, die Basis jeder Opfererzählung. Deshalb ist die Verschwörungsideologie das Gegenteil von Rechtsstaat, das Gegenteil von Demokratie, das Gegenteil jeder aufklärungsbasierten Gesellschaftsordnung. Ein Großteil der österreichischen Bevölkerung hat den Helden und Erlöser gewählt, die über die verschworene Feindesmacht von innen, außen, oben, unten siegen können. Sonst droht das Szenario: „Österreich geht unter“. 

Wie lassen sich Sicherheit und Hoffnung zusammen denken? Oder warum greift ihr gerade diese Kombination auf?

Dass sich Sicherheit und Hoffnung gegenseitig streicheln, ist keine neue Erfindung. Dennoch darüber zu sprechen, ist eine komplexe Angelegenheit, weil sich vor unseren Augen vieles, was unser gemeinschaftliches Zusammenleben betrifft, auf so rasante Weise verändert.

In Zeiten politischer Unruhen migrieren Menschen immer weniger und fliehen mehr. Es genügt, sich die jüngsten Geschehen in Mittelamerika anzuschauen, um festzustellen, worin der Unterschied zwischen Emigrieren und Fliehen liegt. Zur Migration entschließen sich Menschen in der Hoffnung auf das, was vor ihnen liegt. Die Flucht hingegen treten sie an aus Angst vor dem, was sie hinter sich lassen. Das impliziert zugleich, niemals und nirgends sicher zu sein. Weder an dem Ort, den man verlassen hat, noch an dem Ort, an dem man gelandet ist. Weder dort noch hier ist man sicher. Anders gesagt, Anderssein ist ein Stempel, welchen man nicht leicht abwaschen kann. Es gibt noch kein "Ariel", das die Stempelflecken des Andersseins entfernen kann. Dennoch macht man sich die Hoffnung auf das Leben, indem man die unterschiedlichen politischen Realtäten nebeneinander lebt.

Das Gespräch führte Ulli Koch.

1 Bei diesem Textausschnitt handelt es sich um ein Originalzitat von Jean Paul Sartre. Wir distanzieren uns ausdrücklich von der Wortwahl.

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God’s Entertainment

"Neue Europäische Tragödie – Teil III"
Mi 5.12. bis Fr 7.12., 19.30 Uhr, Saal

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