Das gallische Dorf Europas

Repetitor (c) D. Rajic

Das gallische Dorf Europas

Was uns dazu motiviert, das Festival Europavox Vienna zu veranstalten

Das kleine Dorf Europavox kämpft noch immer im Namen von Popkultur und Musik gegen aufkeimende Grenzen und für ein geeintes Europa. Am 2. und 3. November beim Europavox Vienna auch in Wien.

Wir befinden uns im Jahr 2018 nach Christus. Ganz Europa ist von den Nationalisten besetzt. Ganz Europa? Nein! Ein von unbeugsamen Europäern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die nationalistischen Legionäre, die als Besatzung in den Lagern Sexismus, Rassismus und Nationalismus liegen… denn die Europäer kämpfen unaufhaltsam für Menschenwürde und eine grenzüberschreitende europäische Identität. Und sie haben ihre stärksten Waffen mitgenommen: Mit Wort und Sang überzeugen sie die Leute von ihrer Botschaft.

Europavox Vienna 2017 (c) Susanne Einzenberger
Europavox Vienna (c) Susanne Einzenberger

Das gallische Dorf steht im Fall des Europavox Festivals für den französischen Ort Clermont-Ferrand, stellvertretend für die Projektpartner, die in ganz Europa aufgeteilt arbeiten. Dort wurde die Idee 2006 geboren, ursprünglich in Form eines Showcase-Festivals mit dem Ziel, die Vielfalt europäischer Musik vorzustellen. Zum zehnjährigen Jubiläum 2016 wurde das Europavox dann auf ein neues Level gehoben: Die Idee, Europa über Popkultur spürbar zu machen und über nationale Grenzen hinweg Identität zu stiften, kam so gut an, dass daraus ein von der EU gefördertes Projekt wurde, das in sieben Ländern aktiv ist. Das Festival in Clermont-Ferrand wurde um sechs Satelliten-Festivals erweitert: Neben dem WUK in Wien arbeiten auch Le Botanique in Belgien, Fuzz Productions in Griechenland, Estragon in Italien, das INmusic Festival in Kroatien und das Loftas Fest in Litauen am Austausch europäischer Bands. Außerdem gibt es seit 2017 das Online-Medium europavox.com. Dort kann man in Artikeln von mehr als 50 europäischen Journalistinnen und Journalisten nachlesen, welche Bands in deren Heimatländern gerade Top of the Pops sind.

In Österreich ist das zum Beispiel Yasmo & die Klangkantine. Yasmin Hafedh treibt sich schon seit Jugendtagen auf Bühnen herum und begann ihre Karriere als Teenagerin beim Poetry Slam. Seit Jahren gilt sie als eine der interessantesten und vielschichtigsten female MCs im deutschen Sprachraum. Mittlerweile ist sie mit einer Big Band unterwegs und kombiniert als Yasmo & die Klangkantine ausgeklügelt Jazz mit Hip Hop. In ihren Texten ist sie dabei meist gesellschaftskritisch unterwegs und packt die großen Themen unserer Zeit an: Migration, Politik, Feminismus. Aber auch Digitalisierung und der schleichende Weg in die Ich-Gesellschaft kommen dabei nicht zu kurz. Somit passt Yasmo nicht nur perfekt zum Projekt Europavox, sondern generell zur Popkultur-Landschaft 2018, in der es ohne soziales und politisches Bewusstsein nicht mehr geht. 

Yasmo & die Klangkantine (c) Lars Homann
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Nicht ganz so offensichtlich kommt das soziale Bewusstsein bei Zeal & Ardor daher. Das Projekt des amerikanisch-schweizerischen Musikers Manuel Gagneux wäre fast nicht zustande gekommen, hätte er nicht aus Spaß und Langeweile im Online-Forum 4chan gefragt, welche zwei Genres er in einem Lied vereinen soll. Aus dem Experiment, afroamerikanische Spirituals mit Black Metal zu verheiraten, wurde bald ein erfolgreiches Musikprojekt. Heute wird Zeal & Ardor weltweit von Kritikern gelobt und ist eine international tourende Band. Die Mischung aus Soul und Black Metal klingt auf jeden Fall überraschend und ist ein weiterer Grund, sich das Europavox Vienna nicht entgehen zu lassen.

Zeal & Ardor © Stian Foss
Zeal & Ardor (c) Stian Foss
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Super Besse

Obwohl sie aus Weißrussland und damit nicht aus der EU kommen, hört sich die Geschichte der Band Super Besse wie die eines typischen Europa-Kindes an. Geboren ist die Postpunk/Coldwave-Band 2013 in Minsk, heißen tut sie wie ein französisches Wintersportzentrum, und nach einem Gig beim Europavox 2015 touren sie jetzt in ganz Europa, unter anderem beim Europavox Vienna. "Wir lieben Frankreich, wir singen auf Russisch und wir spielen Gigs mit Punk-Spirit in ganz Europa“, sagt der Sänger, Gitarrist und Songwriter Maksim über die Band. Außerdem haben Super Besse einen ziemlich coolen Instagram-Account und die Musik würde gut auf den Stranger Things-Soundtrack passen. Die Band meint zwar, nicht dem Mainstream zu folgen, aber trotzdem hat sie das Zeug dazu, Mainstream zu werden – oder zumindest europäisches Popkultur-Gut.

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Die Zeiten, in denen wir dachten, die Generation Erasmus sei unaufhaltsam, sind vorbei. Grenzschutzübungen und Zäune beeinflussen die Kultur heute offenbar mehr als unsere im Auslandssemester geknüpften Freundschaften nach Spanien, Serbien oder Estland. Da wünscht man sich manchmal tatsächlich einen Zaubertrank von Miraculix, der uns unbesiegbar und alles wieder gut macht. Was wir aber haben, ist zumindest unser Trubadix. Denn beim Europavox Vienna wird gesungen, und zwar auf Serbisch, Russisch, Deutsch, Französisch und Englisch – und das zu Punk, Rock, Hip-Hop, Soul, Black Metal und  Jazz. Um europäischen Bands eine noch größere Bühne zu bieten, gibt es heuer auch erstmals ein Coaching Export Programm. Sieben ausgewählte Talente werden mit PR, Netzwerkaktivitäten, Bookings und Residenzprogrammen unterstützt, um international wachsen zu können. Aus Österreich ist die Band 5K HD mit dabei. Wer weiß, vielleicht sind ein paar von uns als Kind ja doch in den Kessel mit dem Zaubertrank gefallen. In Anbetracht dieses unermüdlichen Kampfes für Europa lässt sich zumindest daran glauben.

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Text: Teresa Havlicek

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Europavox Vienna 2018 Tag 1 (Freitag, 2.11.)

Yasmo & die Klangkantine, View, Farveblind, Apollo & Scryss

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Zeal & Ardor © Stian Foss
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Europavox Vienna 2018 Tag 2 (Samstag, 3.11.)

Zeal & Ardor, Die Nerven, Repetitor, Super Besse

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