Schritt, Atemzug, Besenstrich

Schritt, Atemzug, Besenstrich

Oder wie man an der Demokratie arbeiten kann.

In "Die Berufung" trifft das Theaterkollektiv Markus&Markus auf Menschen in Deutschland, die es sich zum Ziel gesetzt haben gegen anti-demokratische Strukturen aufzubegehren. Warum diese Menschen einen Beitrag zur Demokratie leisten und wieso Katzen zu einer besseren Aufmerksamkeit führen, lest ihr im WUK Magazin.

Baustelle ist Realität und Metapher. Ein Ort des Unfertigen und des Übergangs, des Verschwindens und Entstehens, des Umbruchs und des Aufbruchs. Es ist ein Ort in Bewegung.

In den kommenden Monaten beschäftigen wir uns mit den Baustellen, die uns umgeben – in der Gesellschaft, am Arbeitsplatz, in der Umwelt … Wir bedenken, was umgebaut und was abgerissen werden soll, untersuchen Bruchstellen und graben nach Alternativen.

Das Theaterkollektiv Markus&Markus widmet sich in diesem Text der Baustelle Demokratie.

***

Im Spätsommer 2018 saßen wir mit dem Theaterkollektiv auf dem Balkon und überlegten, worum es in unserem kommenden Stück gehen sollte. Es war etwas Zeit vergangen nach der Premiere von „Zwischen den Säulen“. Darin haben wir uns mit antimuslimischem Rassismus auseinandergesetzt, beziehungsweise mit den Islambildern, die durch einen Großteil der Medien vermittelt werden, welche oft etwas Fremdes, eine Bedrohung suggerieren. Am Ende des Stücks steht ein Manifest:

„Das ist auch keine komplizierte Aufgabe. Es bedeutet für jede und jeden, im Job und im Privaten, im Freundeskreis und in der Familie, in der Straßenbahn und im Internet für Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten einzutreten, und für eine Gesellschaft, die beides garantiert. Und zwar, wenn es ganz alltäglich konkret wird.“

 

Zugleich erreichte die Sichtbarkeit der rechtsradikalen strukturellen Durchsetzung in Deutschland eine neue Dimension. Wir saßen auf diesem Balkon und sprachen über den Satz aus dem Manifest.

Demokratie macht sich nicht von selbst, auch wenn es manchmal den Anschein hat. Demokratie macht sich auch nicht dadurch, dass man nur über sie redet. Sie ist eine immerwährende Baustelle und es ist wichtig, sich stetig darum zu kümmern. Die Besonderheit an dieser Art Baustelle ist ja, dass man sich so schrecklich machtlos fühlt, wenn man davorsteht und auf das Ganze blickt. Das wussten wir auf dem Balkon. Und dass man in dieser Zeit etwas tun muss. Aber was genau - das wussten wir nicht genau.

Durch eine private Begegnung stießen wir auf Irmela Mensah-Schramm, eine ältere Dame, die seit Jahrzehntendurch Deutschland reist, um Hassparolen-Grafitti in hoffnungsvollere Botschaften zu verwandeln. Neben den Graffiti entfernt sie mit einem Ceranfeldschaber hetzende Aufkleber. Statt der bloßen Überforderung gelähmt gegenüberzustehen, bewegt sich Irmela stetig in Kreisen, wie Beppo der Straßenkehrer aus Momo. Schritt, Atemzug, Besenstrich. Schritt, Atemzug, Besenstrich. Schritt, Atemzug, Besenstrich. Wir begleiteten sie auf einen ihrer Streifzüge.

Zurück auf den Balkon: Hier entschieden wir ein paar Wochen nach dem Streifzug mit Irmela, dass es in unserem neuen Stück um Menschen wie sie gehen soll. Menschen, die sich um die Demokratie kümmern. An der Basis. Tag für Tag. Menschen, die auch Ideen liefern, was jede_r von uns tun kann.

Um diese Menschen zu finden, haben wir in dem folgenden Jahr deutschlandweit unzählige Flaschenposts mit einem Suchaufruf verteilt, in Kleinzeitungen inseriert, Anzeigen an Schwarze Bretter geheftet und Heliumballons steigen lassen. Die Antwortenden haben wir mit der Kamera besucht und sind bei ihnen in die Lehre gegangen. Aus diesen Videos und den Erlebnissen haben wir die Produktion „Die Berufung“ erarbeitet.

„Gestoßen ist das Kollektiv zum Beispiel auf jene Menschen, die in Demmin den sogenannten Trauermarsch der Neonazis am 8. Mai kurzerhand zum Spendenlauf umdeklarieren. Und für jeden abmarschierten Kilometer der Hetzer an die Organisation Exit spenden, die ausstiegswilligen Rechtsradikalen hilft. Sie haben Menschen getroffen, die Stolpersteine polieren, einen Philanthropie-Berater, der Spenden an die richtige Adresse bringt, oder eine Tätowiererin, die kostenlos Hakenkreuze oder SS-Runen übermalt.“ (Der Tagesspiegel, 1.3.2020)

All diese sind nun die Protagonist_innen in „Die Berufung“ und wir freuen uns sehr darauf, sie und ihre Aktionen zu präsentieren. Schritt, Atemzug, Besenstrich. Schritt, Atemzug, Besenstrich.

P.S.: Laut einer Studie der Universität Wien lassen sich politische Inhalte kognitiv besser verarbeiten, wenn ab und an ein Katzenvideo dazwischengeschaltet ist.[i]

 

[i]https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/0093650219826006

Theaterkollektiv Markus&Markus: Die Berufung

Vorstellungen
Do 24. und Fr 25.2.2022, 19:30 Uhr
Saal
€ 20 | 16 | 12 | 10

Mehr Informationen findest du auf der Eventseite.

© Andreas Greiner

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