Matthäus Bär: Kinder-Arbeit

Bild: Stefan Vucsina

Matthäus Bär: Kinder-Arbeit

Nachwuchs schafft nicht nur Freude, sondern auch viel Arbeit. Aber muss Arbeit immer mühsam sein, damit sie wertvoll ist?

Matthäus Bär, der am 17.12.2022 sein letztes Konzert im WUK spielt, über das Privileg, sich um die eigenen Kinder kümmern zu können.

Nachwuchs schafft nicht nur Freude, sondern auch viel Arbeit. Immens wichtige und verantwortungsvolle Arbeit sogar, die aber gesellschaftspolitisch eher stiefmütterlich behandelt wird. Muss Arbeit immer mühsam sein, damit sie wertvoll ist?

Wir allen waren einmal Kinder – manche mehr, manche weniger, und einige sind es vielleicht auch noch im Erwachsenenalter. Das lässt sich jetzt, je nach Perspektive, manchmal positiver, manchmal negativer interpretieren. Die meisten Kinder, die ich kenne, bringen jedenfalls Liebe, Freude und Glückseligkeit in die Leben ihrer erwachsenen Bezugspersonen (abhängig vom jeweiligen Entwicklungsstadium). Und keine Frage, die Kinder von heute sind natürlich die Erwachsenen von Morgen, also die Zukunft von uns allen. So gesehen sollten wir schon dafür Sorge tragen, dass diese Kinder möglichst verantwortungsbewusste Menschen werden, weil sie schließlich eines Tages die Geschicke dieses Planeten und somit auch unsere lenken werden – oder wenigstens von dem, was dann noch vom Planeten und uns übrig ist.

Matthäus Bär

Aber bei allem Wunderbaren, das Nachwuchs so mit sich bringt, muss schon auch einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden: Kinder machen Arbeit. Ziemlich viel sogar. Arbeit klingt zunächst einmal sehr unerfreulich. Unerfreuliches und Kinder in einem Satz zu sagen, ist allerdings beinahe ein Tabu. Woran liegt das? Zunächst einmal an unserem Begriff von Arbeit. In unserer Gesellschaft wird Arbeit nur als wertvoll und als für die Gemeinschaft zuträglich gesehen, wenn sie ordentlich unangenehm ist. Ehrliche Arbeit muss schmerzen, ein bisserl wehtun, du musst dich dabei plagen. Alles andere ist unehrlich, faul und unsolidarisch. Die klassische christliche Erzählung also. Zuerst das Leiden, dann die Erlösung, zuerst die Arbeit, dann die Belohnung. Zusätzlich muss der Ertrag dieses Arbeitsleidens klar messbar sein, in definierbaren Mengen, Muscheln oder anderen Werteinheiten. Klingt verrückt, aber das ist der Grundkonsens in unserem profitorientierten System.

Als Beispiel lässt sich da immer gern mein Lieblingsmäusedichter Frederick (1) heranziehen. Der wird von seiner Mäusefamilie beinah verstoßen, weil er vor dem nahenden Winter nicht wie alle anderen Körner und Schrot sammelt, sondern „nur“ Sonnenstrahlen. Später sind sie allerdings heilfroh, weil er ihnen in der finsteren, kargen Winterhöhle von den Farben und Lichtern des Sommers erzählen kann. Somit leistet auch er einen wichtigen Beitrag zum Überleben der Gruppe. Zuvor stand er allerdings schon mit einem Bein im Abseits der Gemeinschaft, weil sein Beitrag eben nicht klar deut- und messbar war. Zugegeben, es lässt sich jetzt darüber streiten, warum grad Frederick Sonnenstrahlen sammeln darf, während alle anderen hart schuften und … Halt! Schon wieder in die Bewertungsfalle von Arbeit getappt! Ist es wirkliche keine harte Arbeit, wenn die Anstrengung dahinter nicht klar ersichtlich ist?

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Fest steht, dass viele Tätigkeiten, die keinen unmittelbaren Gegenwert, wie Geld oder Warentausch vorweisen, sehr schnell als weniger wertvoll und somit als weniger wichtig eingeordnet werden. Wie zum Beispiel Sonnenstrahlensammeln, künstlerische und kulturvermittelnde Arbeit, gemeinnützige Aufgaben oder Berufe mit sozialem und zwischenmenschlichem Fokus. Und natürlich Care-Arbeit. Womit wir wieder bei den lieben Kindern wären.

Den eigenen oder auch fremden Nachwuchs zu betreuen, da zu sein, präsent zu sein, zu trösten, zu ermutigen, Sicherheit zu geben, sich um Kindergarten- und Schulsachen zu kümmern, zu pflegen, zu versorgen und nebenbei selbst noch bei Sinnen zu bleiben ist definitiv Arbeit. Nur leider in der Regel halt keine bezahlte oder besonders wertgeschätzte. Von Haushalt und etwaigen zusätzlichen Diensten wie Ehrenämtern oder elternverwalteten Betreuungsformen ganz zu schweigen.

Diesen Brocken an Care-Arbeit zu leisten, muss du dir natürlich auch erst einmal leisten können. Zeitlich geht sich das aller meistens nur aus, wenn zumindest ein Familienmitglied Teilzeit arbeitet.

Bild: Stefan Vucsina

Was wiederum – wenn du nicht zufällig über reichhaltige Ressourcen verfügst – schnell zur finanziellen Belastung führen kann. Überspitzt formuliert, völlig absurd, dass es eine Art Privileg ist, sich um die eigenen Kinder kümmern zu können. Zusätzlich kommt oft noch die Diminuierung im Vergleich zur Vollzeitbeschäftigung: „Ach, du arbeitest nur Teilzeit? Wie schön für dich!“ Oder: „Du bist ja Freiberufler_in! Da hast du’s aber gut, du kannst dir alles frei einteilen.“ Alles schon gehört.

Dass diese Freiheit teilweise in Punkto Gehalt, Versicherung, Urlaubsgeldern oder Wochenenden teuer bezahlt ist, oder dass gerade diese vermeintliche Flexibilität der Arbeitszeiten oft in groben Schwierigkeiten in der Kinderbetreuung endet, ist eine andere Geschichte. Es zeigt aber wieder, wie die Arbeit rund um, mit und für Kinder gesellschaftlich bewertet wird. Lang nicht hoch genug, wie ich finde.

(1) Lionni, Leo: Frederick. Middelhauve Verlag, Köln 1967.

***

Matthäus Bär, Autor und Musiker, schreibt Geschichten und Lieder für jüngeres und älteres Publikum, lebt und arbeitet in Wien. www.matthaeusbaer.com

Matthäus Bär hängt die Kinderstromgitarre an den Nagel und singt in Zukunft weniger. Das fulminante Finale der "Farewell Bär Tour", die allerletzte Show überhaupt, geht am 17.12.2022 im WUK über die Bühne. 

 

 

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