Das Potential weiblicher Stimmen

Das Potential weiblicher Stimmen

Weiblich konnotierte Stimmen begrüßen uns in der U-Bahn, im Aufzug und bei unseren Navigationsgeräten. Zugleich werden sie als Bedrohung wahrgenommen, der Hysterie bezichtigt und als unangenehm eingestuft. Der mehrfach preisgekrönte Choreograph Christoph Winkler greift in seiner Produktion HER NOISE dieses Spannungsfeld auf. Wie es dazu gekommen ist und wie er dabei vorgegangen ist, hat er im Interview mit dem WUK Magazin verraten.

Die menschliche Stimme ist ja etwas recht Omnipräsentes. So werden auch künstliche Intelligenzen mit menschlichen Stimmen ausgestattet, um sie für Menschen „angenehmer“ zu gestalten, um ihnen quasi auch ein menschliches Wesen gegenüberzusetzen, obwohl es weiterhin eine KI ist. Du setzt dich in HER NOISE intensiv mit der Stimme auseinander. Wie ist diese Idee entstanden?

Christoph Winkler: Das Stück ist Teil unserer Doppelpassproduktion die sich thematisch mit verschiedenen Aspekten der menschlichen Stimme auseinander setzt. Während der erste Teil sich aber eher mit „Stimmen“ im demokratischen Prozess beschäftigt, also solchen welche wenig oder gar nicht gehört werden, liegt der Fokus im zweiten Teil auf der weiblichen Stimme.
Inspiration dafür haben wir in Texten von Nina Power und Anne Carson gefunden.

Im Zentrum von HER NOISE steht die weiblich konnotierte Stimme. Du schreibst dazu „Die Geschichte ist voller Beispiele für die Ambivalenz mit der unsere Gesellschaft weiblichen Stimmen gegenüber tritt. In den Sirenen Homers über H.C. Andersens Meerjungfrau, von Kants Bemerkungen über das frivole Geschnatter der Frauen im Nebenzimmer bis zu den weiblichen Stimmen dienender, elektronischer Geräte, tritt eine Haltung zutage die offensichtlich in der weiblichen Stimme eine Gefahr für die gesellschaftliche Ordnung sieht.“ Kannst du näher erläutern, inwiefern in der weiblich konnotierten Stimme eine Gefahr für die gesellschaftliche Ordnung darstellt?

Christoph Winkler: Die Furcht und die Abwertung weiblicher Stimmen zieht sich durch unsere Kultur von Anfang an durch. Anne Carson verdanken wir einen guten Einblick in die griechische Kultur wo der angeblich für Männer und die Ordung der Polis gefährliche Klang der Frauenstimmen bereits in zahlreichen Texten thematisiert wird. Sophokles Zitat „Silence is the kosmos (good order) for women“ fasst die vorherrschende Haltung dabei recht gut zusammen. Der tiefere Klang der männlichen Stimmen wurde gleichgesetzt mit Maß, mit Ordnung und rationalem Denken. Männer wurden davor gewarnt sich der höheren weiblichen Stimme allzu lange auszusetzen. Diese würde sie von ihren Pflichten ablenken und wäre eine Gefahr für ihre mentale Stabilität. Eine solche Abwertung der weiblichen Stimme zieht sich dann durch die Zeiten und führt beispielsweise auch heute noch dazu, dass Frauen allgemein und Frauen in Führungspositionen deutlich tiefer sprechen als noch vor einigen Jahren. Sie passen sich unbewußt an einen vorherrschenden Standard an.
Auf der anderen Seite gibt es eine vielzahl von Künstlerinnen die gerade ihre Stimme in das Zentrum ihrer Arbeit stellen und die Grenzen von dem was wir Stimmen zutrauen weit verschoben haben. Dieser Gegensatz ist das was das Thema so spannend macht.

Du arbeitest für HER NOISE mit verschiedenen Expert_innen zusammen, Lena Monsterfrau, Lucrecia Dalt, Stine Janvin und Colin Self. Inwiefern bringen diese Personen ihre Expertise ein und wie wirst du das im Stück verarbeiten?

Christoph Winkler: Alle Künstler_innen haben mehrtägige Workshops gegeben. Wir wollten nicht nur eine Auftragsarbeit vergeben sondern das Ziel war es, dass die Musikerinnen ihre eigene Praxis vorstellen. Teilweise sind während der Workshops kleine Miniaturen entstanden aber teilweise haben die Tänzerinnen bestimmte Techniken übernommen und weiter verändert. So hatten wir einen ziemlich offenen Prozess.

HER NOISE soll ja auch das Potential weiblich konnotierter Stimmen hervorbringen. Wie wirst du dafür vorgehen?

Christoph Winkler: Wir haben einen sehr spielerischen Ansatz gewählt. Wir gehen von der Situation einer All Female A -Capella Band aus und haben einzelne Szenen für jeweils einen bestimmten Aspekt des Themas entwickelt. Es gibt Stücke über Siri oder die tröstende Pflegerin bis hin zu alten paganen Gesängen.
Dazu haben wir für jede Szene eine passende Bewegungssprache entwickelt und hoffen so zumindestens einen kleinen Einblick in die Möglichkeiten weiblicher Stimmen geben zu können.

Company Christoph Winkler: HER NOISE

Vorstellungen
Fr 10. und Sa 11.6.2022, 19:30 Uhr
Saal
€ 20 | 16 | 12 | 10

Mehr Informationen findest du auf der Eventseite.


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