Der Körper als Gegenstand von Terrorisierungen.

(c) Anna Breit

Der Körper als Gegenstand von Terrorisierungen.

Claire Vivianne Sobottke gibt Einblick in das Stück WE BODIES

Körpernormierungen durchdringen unser Leben bis in den intimsten Moment hinein. Mit WE BODIES haben Teresa Vittucci, Michael Turinsky und Claire Vivianne Sobottke eine Performance entwickelt, die sich gegen diese Normierungen zur Wehr setzt. Claire Vivianne Sobottke gibt im Interview einen Einblick in den Entstehungsprozess des Stücks und erläutert, warum sie von einer Terrorisierung des Körpers spricht.

Ein Ausgangspunkt eurer Performance ist die Figur des Monsters, die ihr als hybrides Wesen beschreibt. Warum habt ihr euch für diese Figur entschieden?

Claire Vivianne Sobottke: Ich würde es andersherum formulieren: Das Monster hat sich für uns entschieden. Im Rahmen unserer ersten Residenz erschien das Monströse als thematische Grundlage in unserer performativen Herangehensweise – ihrer Expressivität und extremen Physis und den damit verbundenen affektiven Zuständen.

In unserer Recherche zeigten sich auch viele Parallelen zwischen dem Phänomen des Monsters und des Wunders. Beide stellen die konstruierte Idee von Natürlichkeit in Frage.

In Jeffrey Jerome Cohens Monster Theory taucht der Satz auf „The monster always escapes“. Es sind immer nur seine Spuren sichtbar. Das Monster ist eine Figur der ständigen Veränderung, das Monster bleibt immer fremd, unerkennbar und entzieht sich stets einer normativen Einordnung.

Körper, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen, sind leider bis heute eher selten auf Bühnen anzutreffen. Woran liegt das eurer Meinung nach und warum ist es wichtig, sich aktiv gegen diese Ausschlussmechanismen zu stellen?

Claire Vivianne Sobottke: Körper sind in meiner Wahrnehmung nach einer gewissen Form von Terrorisierung ausgesetzt. Ich erlebe den Körper als turbulente Ansammlung von Projektionen, Kategorisierungen, geschichtlichen Einschreibungen, Erwartungen und Träumen. Diese turbulente Ansammlung ist ständig mit einem Blick von außen konfrontiert.

Veranstaltungen oder Projekte, in denen sich Menschen mit Körpern auseinandersetzen, die ihnen selbst fremd sind, aber auch Menschen zu Protagonist_innen machen, über die wir sonst nichts erfahren können, sehe ich als Versuch, mit diesen Projektionen und Vorstellungen des Körpers zu brechen. Es gibt beispielsweise kaum einen Film mit einem behinderten Menschen als Protagonist_in. Ich finde aber, dass eine Öffnung zu anderen Körperbildern nicht erst im öffentlichen Raum oder in der Kunst stattfinden soll. Eine wirkliche Trennung und Kategorisierung entsteht vor allem in unseren intimsten Lebensbereichen: Michael [Turinsky] hat einmal gesagt, am stärksten wird die Kategorisierung von 'normal' und 'nicht–normal', behindert und nicht behindert, im Schlafzimmer praktiziert. Ich selber hatte beispielsweise nie einen behinderten Geliebten. Das ist meiner Meinung nach kein Zufall, sondern hat damit zu tun, dass es eine gesellschaftlich diktierte Ökonomie begehrenswerter und nicht begehrenswerter Körpern gibt. Ich habe gelernt, wen ich begehren darf und wen nicht. Es gibt noch immer die Annahme, behinderte Menschen seien nicht begehrenswert. Ich glaube, es reicht deswegen nicht aus, Menschen mit Behinderungen zu Protagonist_innen auf Bühnen und im öffentlichen Raum zu machen, sondern wir sollten aufhören, unser Begehren als etwas natürlich Gegebenes zu akzeptieren. Es ist möglich, das Begehren neu zu lernen und unsere Intimität – und damit meine ich nicht Sexualität – für ganz unterschiedliche Menschen und Formen des Zusammenseins zu öffnen.

Ich finde es entscheidend in Bezug auf die Akzeptanz von pluralen Körperbildern, inwieweit diese schon in der Gesellschaft repräsentiert sind. Und auch, welche Möglichkeiten und Angebote es zur Identifikation für Menschen mit anderen Körpern oder Begehrlichkeiten gibt. Insofern sehe ich unsere Arbeit auch als Möglichkeit, Körperbilder sichtbar zu machen, die zum Großteil noch stark außerhalb der gesellschaftlichen Norm spielen.

Im Beschreibungstext sprecht ihr von der „Wiederaneignung des individuellen Körpers“, den ihr durch die Performance durchlebt. Was genau meint ihr damit?

Claire Vivianne Sobottke: Mich interessiert es, all diese Projektionen körperlich zu verstehen. Wie schon erwähnt, sehe ich den Körper oft als Gegenstand einer gewissen Terrorisierung. Ich finde es interessant, die Kategorisierungen, Archetypen und Projektionen, die mit meinem Körper assoziiert sind, körperlich zu verstehen, sie mir anzueignen, sie zu necken und mit ihnen zu spielen. Dabei entsteht eine widersprüchliche Bewegung: Ich verkörpere etwas in seiner extremsten und groteskesten Form und schleudere diese Verkörperung gleichzeitig von mir weg. Ich habe angefangen, diesen Vorgang 'Exorzismus ' zu nennen. Für mich ist das ein positiver Vorgang geworden, sozusagen eine Technik des Sichtbarmachens von gesellschaftlichen Vorstellungen meines Körpers. Ich glaube nicht, dass ich mich von diesen vollkommen befreien kann, ich bin Teil eines Geflechts von Hierarchien. Aber innerhalb dieses Hierarchiegeflechts eine gewisse Freiheit zu erlangen und eine Sichtbarkeit herzustellen, das geht sehr wohl.

Ihr habt zu dritt die Performance entwickelt. Wie können wir uns diesen Entwicklungsprozess vorstellen?

Claire Vivianne Sobottke: Teresa [Vittucci] und ich haben uns bei dem Stipendienprogramm danceWEB 2013 erstmals getroffen. Unser Mentor Ivo Dimchev wollte, dass wir Kritiken schreiben. Ich sah damals Michael [Turinskys] Solo „Heteronomous male“ und schrieb eine Rezension darüber mit dem Titel „I want to see Michael Turinsky as a mass murderer“. Abgesehen davon, dass mir seine Arbeit sehr gut gefallen hat, interessierte mich der Gedanke, was passiert, wenn sich ein behinderter Mensch auf der Bühne nicht sympathisch verhält; er es seinem Publikum richtig schwer macht, ihn zu mögen. Ich hatte das Gefühl, dass das Publikum dadurch vielleicht stärker mit der eigenen Angst vor der Fremdheit eines anderen Körpers konfrontiert werden könnte. Michael gefiel diese Idee irgendwie und er erzählte Teresa davon. Damit war in gewisser Weise der Grundstein gelegt.

Ein Jahr später trafen wir uns gemeinsam bei der Turbo Residency 2014 von ImPulsTanz. Wir wollten uns einfach kennenlernen und über Intimität und die Radikalisierung unserer Arbeit nachdenken.

Wir trafen uns dann 2017 im Rahmen des Flausen Residency Programs vom Theater Wrede in Bielefeld wieder. Auch da war noch nicht klar, ob wir überhaupt ein Stück machen wollen oder nicht.

2018 fiel die Entscheidung, gemeinsam WE BODIES zu erarbeiten. Unsere Zusammenarbeit war sehr schön und sehr als komplex: Drei Künstler_innen, drei Autor_innen, drei unterschiedliche künstlerische und ästhetische Zugänge und vor allem unterschiedliche Arbeitsweisen und Bedürfnisse. Das Sprechen und Diskutieren war in unserem Prozess genauso wichtig wie die körperliche Arbeit und wir haben die Bedingungen und den Rahmen für unsere Zusammenarbeit immer wieder neu verhandelt.

Uns verbindet eine Freundschaft und eine derbe Form der Zärtlichkeit. Ehrlichkeit spielt in unsere Zusammenarbeit eine zentrale Rolle. Wir sind nicht unbedingt politisch korrekt miteinander, respektieren einander aber sehr.

Für mich ist WE BODIES nur eine der vielen Manifestierungen unserer Begegnung. Unser Prozess, die damit verbunden Fragen und Konflikte, waren mir wichtiger als das 'Produkt', das Stück, das dabei entstanden ist.

WE BODIES
Teresa Vittucci, Michael Turinsky, Claire Vivianne Sobottke

Vorstellungen
Mittwoch, 16. Oktober 2019, 19:30 Uhr, Saal
Freitag, 18. Oktober 2019, 19:30 Uhr, Saal
Samstag, 19. Oktober 2019, 19:30 Uhr

Mehr Informationen finden Sie hier

(c) Anna Breit

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