Zeit

Mi 16.1.2002 - Fr 22.2.2002

Ort

Kunsthalle Exnergasse

Pavlina Fichta Cierna 3, Detail
Kunst

‚Neue’ Slowakische Kunst 1936-2001

Ausstellung

Die Vorpräsentation der Ausstellung „Neue Slowakische Kunst 1936-2001“ fand in einer Serie von kuratoriellen Austauschprogrammen unter dem Namen  "transKUNSTHALLE 2001" in der Staatsgalerie von Banska Bistrica im April 2001 statt. 

Mit dem Attribut ‘neu’ verweist die Ausstellung auf Kunst, bei der slowakische KünstlerInnen auf die Prinzipien der internationalen Avantgarde (und Post-Avantgarde) in einem slowakischen Kontext und mit eigenen Methoden und Strategien reagieren. Avantgardistische Interventionen sind meist eher inhaltlich als formal angelegt, hier spielt vor allem die Zeit ihres Wirkens eine wichtige Rolle - die Ausstellung ist also formal nicht so homogen als wenn nur eine Stilrichtung vertreten sein würde. Der Ausgangspunkt der Arbeiten in ihrer inhaltlichen sowie formalen Struktur ist ein rein existentieller, wodurch sie die historischen Eckdaten der bildenden Kunst etwas verschieben.

Die Ausstellung ist in mehrere Abschnitte unterteilt, wie etwa in Konzeptkunst und ihre spätere Reflektion durch die Technowelt der Neuen Medien. Einen weiteren Teil bilden Objekte, Installationen und ortspezifische Interventionen, die einzeln aber auch ganzheitlich betrachtet werden können. Die Wahrnehmung und Betrachtung von Körper und Körperlichkeit bildet einen essentiellen Bestandteil der neuen slowakischen Kunst, indem verschiedene, auf Aktion und Interaktion ausgerichtete Medien verwendet werden. Der Eingangsteil der Ausstellung bezieht sich auf zentrale Fragestellungen und betont Crossover und Grenzphänomene sowie die formale Heterogenität dieser Tendenz. Ich betrachte diesen Aspekt als entscheidend für die Autonomie der bildenden Kunst im Kontext globaler Traditionen seit der Moderne. Das Werk von Imrich Weiner Kráľ, das nur als Computerprint gezeigt wird, da der Transport aus technischen Gründen nicht möglich ist, ist teilweise sehr eigen, aber von großer Bedeutung. Die Verbindung von Skulptur und Malerei vermittelt ein in seiner Expressivität nur unzulängliches Potential der beiden ältesten Techniken des 20. Jahrhunderts. Dieser Trend, der in der Welt anhielt, wurde in der Slowakei (Tschechoslokawei) mit Gewalt aufgebrochen und trat als großzügig angelegte Bewegung  in den 60er Jahren wieder zum Vorschein – deshalb wird auch eine große Anzahl von Werken aus dieser Periode gezeigt. 

Das Phänomen der unabdingbaren Neuheit wurde bis heute vielfach thematisiert. Die zeitgenössische slowakische Kunst bezieht sich nicht so sehr auf internationale Strömungen als vielmehr auf lokale Traditionen. Einige dieser speziellen Arbeiten sind in dieser Ausstellung zum ersten Mal zu sehen. Viele Werke wurden bisher noch nicht oder nur selten bzw. seit langer Zeit nicht mehr gezeigt. Ihre erneute Präsentation soll nicht ein in sich geschlossenes Ereignis darstellen, da sich diese Werke auf eine Anzahl von Themen und Inhalte beziehen, mit denen viele KünstlerInnen arbeiten. Diese können auch als unausgesprochene Werte der Kunst angesehen werden, alternative oder Undergroundformen, die paradoxerweise nur von einer gewissen Distanz  aus beurteilt werden können und müssen.

Borderlines and Crossovers. Der Eingangsteil der Ausstellung zeigt verschiedene miteinander verbundene Positionen, die auf der Arbeit von Imrich Weiner Kráľ Orava (1936) beruhen, in der Skulptur und Malerei miteinander verknüpft werden. Die Verschiedenartigkeit der Medien ist wesentlich für diese Ausstellung, einige Werke repräsentieren Stile und Tendenzen, die die klassischen Techniken negieren, da sie für die Aussage der Arbeiten nicht entscheidend sind.

Die Verwendung unterschiedlicher Medien einerseits und die Überschneidung von Stilrichtungen andererseits wird in jenen Werken sichtbar, die sich auf verschiedenste Themen und Autorenmeinungen beziehen: Július Koller widersetzt sich dem klassischen Tafelbild in einer rein materialbezogenen Weise, die für unser Land eher untypisch ist. Das Grenzüberschreiten ist kennzeichnend für die Arbeit von 5 Künstler – Peter Bartoš, Vladimír Popovič, Anton Čierny und Stano Filko – und steht in Bezug zu der neuen Arbeit von Milan Tittel. Die grundsätzliche Interaktion von Objekt, Installation, Environment und Ortspezifität, die als eigenständige Komponenten als auch als Gesamtheit fungieren, bilden den gemeinsamen Nenner dieser Arbeiten.

Crossover Positionen, die die Ausstellung ebenso beinhaltet, zeigen etwa das Werk von Jozef Jankovič. Das Objekt–Bild gehört zur Informel Phase des Künstlers. Das Werk selbst beruht prinzipiell auf der Assemblage, durch die Einbindung eines speziellen Elements (dessen Identifikation die Betrachtung ästhetisiert) werden jedoch die Prinzipien des Informel negiert und ein Crossover erzielt. Ein ähnliches Prinzip liegt den Arbeiten von Rudolf Uher zugrunde; das visuelle Objekt von Milan Dobeš wiederum kontrastiert die skulpturale Computerprojektion von Matej Gavula und Vladimír Havrilla.

Die Vielfältigkeit der oft entgegengesetzt angewandten Methoden ist eines der spezifischsten Postulate der slowakischen Kunst. Dies lässt sich auch an den Auswirkungen des internationalen Modernismus finden, der hauptsächlich auf der Polarität von Technik und Inhalt beruht. Die “Neue” Kunst-Ausstellung reflektiert verschiedenste Avantgarde Positionen, in denen die Inhalte der Methode der Innovation untergeordnet werden und die Idee der Verschiebung etablierter Grenzen dominiert. 

Körperlichkeit bzw. die Reflektion des Körpers in der Kunst steht in engem Zusammenhang zu der Expressivität von Äußerungen und ihren typischen Ausprägungnen – den Gesten. Wie die Expressivität bewegt sich auch die Reflektion des Koppers von einer physischen zu einer inhaltlichen Geste. Darüber hinaus ist es vor allem der Effekt, der sich verändert, und in dieser neuen Situation die Kunst, die die Wirklichkeit des Gesehenen in Frage stellt (was vor allem im Expressionismus der Fall war) und sie durch ein individuelles Kommunikationsgefüge ersetzt. Eine Art wie sich Körperlichkeit manifestiert - sofern wir auf klassische Abbildungsmethoden verzichten – sind allegorische Darstellungen, inhaltliche Provokation oder ein Verweis, der in einem individuellen Denkmuster dekodiert werden muss und eine spezielle Offenheit der Sinne erfordert. Eine eindeutige Symbolik oder repräsentative Erklärung existiert nicht, da das Unvermögen einer möglichen Verallgemeinerung sowie die Gefahr einer inhaltlichen Umkehrung bestehen. Das erste Motiv, das in der Ausstellung in diesem Kontext präsentiert wird, ist der metaphysische Narrativ einer körperlichen Intervention ins Informel, wie es die Arbeit von Marián Čunderlík zeigt. Eine post-konzeptionelle Installation von Jana Želibská kommuniziert feministische Inhalte mit poetischen Mitteln, und im Gegensatz dazu stellt die Fotodokumentation einer Performance von Anna Daučíková die Frage nach Gender-Stereotypen und Grenzphänomenen. Eine Plattform der Selbstmystifizierung steht in Opposition zu den vorigen Arbeiten, einerseits in organischer Form in der Arbeit von Ilona Németh, und andererseits in anorganischer Form in der Arbeit von Milan Adamčiak, die beide sehr stark mit dem Werk der KünstlerInnen verknüpft und von einem gewissen Grad persönlicher Identifikation und Befindlichkeit bestimmt sind. Die Fotografien von Peter Janáčik thematisieren das Subjekt in einer direkten Subjekt-Objekt Provokation, die von der Methode des Schocks befreit wurde und von einer ambivalenten Idealisierung gekennzeichnet ist. 

Space vs. Space. In diesem Teil der Ausstellung wird das Individuum mit der Definition und Erweiterung von Räumen konfrontiert und typologisch auf die Grenze zwischen Aneignung und Schaffung von Räumen verwiesen, die bei der sozialen Interventionskunst eine besondere Rolle spielt. Mlynárčiks fortwährendes Konzept des Königreichs Argillia, das er in Kooperation mit zehn anderen KünstlerInnen betreibt, steht hier im Mittelpunkt – es handelt sich um die Präsentation eines ersten Umrisses dieses Landes. Gemeinsam mit Werbe-Plakaten der Gemeinschaftsaktionen Symposion,Time I und II sollen parallele Beobachtungen des mächtigen und in seiner vollen Gestalt erfassbaren Argillia eine weitere Möglichkeit der Beteiligung des/der Beobachters/In bilden. Realitäten und offizielle Daten bilden das Resultat des erwachsenen Spielvermögens und die Akzentsetzung einer poetischen Flucht im jeweiligen Zeitgefüge. Sikoras Arbeiten – die maximale Individualisierung (!) durch Röntgen und die Objektivität (!) astronomischer Berechnungen stehen in Opposition zum erwähnten Spieltrieb. Beide Teile stehen jedoch in enger Verbindung zueinander, einerseits durch eine extreme und respektierte Universalität und andererseits durch die exakte Positionierung des Individuums und seine Beziehung zur nicht interpretierten Umgebung. Die konzeptuelle Land Art eines Peter Bartoš bildet das Gegengewicht zu den bereits diskutierten Themen. Das Konzept der Schaffung von Landschaft(en) mit einem intendierten, systematisch entwickelten Symbolismus ist in der slowakischen Kunst eher selten. Die Betonung der eigenen Intervention sowie der Erklärung dieser Intervention ist eine andere, logische Komponente der Probleme des Subjekts, deren Auswirkungen in den übrigen Werken thematisiert werden.

Konzept: Start, Vermittlung, Ziel. Zwei der am Ende der Ausstellung angesiedelten Teile befassen sich mit Konzeptkunst von ihrer Anfangsphase bis zu den späteren medialen Verflechtungen, die durch die technologischen Plattformen der Neuen Medien reflektiert werden und das Konzept als gemeinsame Basis haben. Dieser Teil beinhaltet eine Reihe von Arbeiten, von der ersten konzeptionellen Aktion Július Kollers – A Glass of Water – über die räumlich minimalistische Geste von Boris Ondreička bis zu den Verdichtungen linearer Filme in eine einzige visuelle Komposition in der Arbeit von Marek Kvetán. Das Problem der Kunstrezeption durch mehr als einen Sinn bildet ein unabhängiges, aber kontextuelles Phänomen, in seiner intermedialen Qualität als Kunstwerk per se sowie in Relation zum/r BetrachterIn. Auf eine haptischen Ebene wurde dieser Aspekt von Ludmila Peterajová in einer Kamee von Ester Šimerová inszeniert. Die Position von Ivan Štepán ist auch im Katalog einer bedeutenden Ausstellung von 1970 vertreten – Polyart Space (Kurator: Ľubor Kára). “Karafón” – ein Soundobjekt, das in einem Booklet enthalten ist, mit Handlungsanweisungen und zweidimensionalen Objektseiten bilden den Katalog dieser Ausstellung. A Three-dimensional Score von Milan Adamčiak beschäftigt sich ebenso mit einer mehrfachen Sinneserfahrung. Ein Typenraster dieses Künstlers mit einer optischen Analyse in Form einer Buchstabentafel von Miloš Urbásek und Multiples von Stano Filko stechen hervor, da sie im Gegensatz zum klassischen Konzept der Verherrlichung einer Idee und dem zentralen Element des Ausdrucks – dem Zeichen, stehen.

 

Neue Medien sind prinzipiell ein Vermittler von Konzepten in der zeitgenössischen bildenden Kunst. Sie verlangen die Präsenz von technischem Equipment (sowie eines Technikers), und drücken sich in einer linearen und plastischen Weise zugleich aus, wobei sie das technische Verfahren (Computer, Video, Film) von einem nützlichen Aspekt heraus vor allem in den post-konzeptuellen Phasen durchqueren. Bei Rónais Obrazobrazovka (Imagescreen) antizipiert dieser Gegensatz Kvetán’s Arbeit trotz der Verwendung klassischer Abbildungstechniken. Die Arbeit von Pavlína Čierna verweist auf persönliche Referenzmomente. Die Installation dringt in das Innere der Künstlerin vor und thematisiert  als letzte Arbeit der Ausstellung zahlreiche bereits aufgegriffene Aspekte und Inhalte.