It's (about) politics!
"Jetzt kehren wir zur großen Ungleichheit zurück. Und ökonomische Ungleichheit bedeutet auch politische Ungleichheit, weil man ökonomische Macht braucht, um Politik zu kaufen, und politische Macht, um ökonomische Vorteile zu erlangen. Das ist eine Spirale."
(Colin Crouch im Standard-Interview, 2. April 2016)
Gut und Gerecht
Als Platon der Nachwelt seine Überlegungen zur Verwirklichung des idealen Staates hinterließ, galt die Aufmerksamkeit auch der Rolle der Kunstschaffenden. Diese, so zeigte sich der griechische Philosoph überzeugt, würden allzu oft Abbilder nachahmen, die Dinge also nicht kennen, wie sie wirklich sind, sondern nur, wie sie aussehen. Der antike Vordenker einer politischen Philosophie, der so manchen Dichter und Maler auch gerne in der symbolischen Verbannung sehen wollte, stellte sich entschlossen gegen eine Verbrüderung mit der Sinnlichkeit. Im Kontext seiner Zeit forderte Platon von der Kunst deshalb mit allem Nachdruck, Wahrheit zu vermitteln und zur sittlichen Verbesserung beizutragen – in einem staatlichen Gemeinwesen, das auf dem Guten und Gerechten fußt.
Um Gerechtigkeit und das gute Leben geht es auch in der Gegenwart. Wobei die Hoffnung zunehmend schwindet. Tag für Tag sind wir weltweit mit Nachrichten und Informationen konfrontiert, die bei uns Ärger, Verzweiflung und Empörung auslösen. Kriege, Klimawandel, Umweltzerstörung, Rassismus und ein profitgieriger Raubzug gegen Demokratie und soziale Wohlfahrtssysteme schreiten unaufhörlich voran. Während etwa auch in Europa die Armut rasant anwächst, können sich Konzerne, Banken und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens auf intransparenten Finanzmärkten weiterhin ungestört bereichern.
Zwischen Macht und Ohnmacht politische Geltung zu finden, rückt damit stärker in den Blickpunkt zivilgesellschaftlicher Projekte, Organisationen und Institutionen – und ganz besonders auch in den Reihen von Kunst, Medien und Kultur. Kulturzentren wie das WUK verfügen mit Infrastruktur, Personalressourcen und Kommunikationskanälen über vielversprechende Voraussetzungen, um neben Sichtbarkeit vor allem auch gesellschaftliche Relevanz zu erlangen. Doch ein großer Backsteinbau ist noch kein politisches Programm.
Und wie schon Jahrtausende zuvor Platon hat sich auch der französische Philosoph Alain Badiou hinlänglich den Kopf zerbrochen, wie denn demokratische Vernunft am besten in einer staatlichen Ordnung abzubilden sei. Er sieht bedeutsame Möglichkeiten in der Konfrontation mit globaler Ausbeutung und Neoliberalismus im Experimentieren auf dem sozialen und kollektiven Feld. Denn Selbstreflexion, Selbstkritik, ein Bewusstsein der eigenen Handlungsposition und die Schaffung eines potenziell affirmativen Raums seien bereits erste wirkmächtige Schritte, um den politischen Kampf aufzunehmen.
Irgendwie klingt das alles ganz einfach – ist es aber nicht. Obendrein sind die Realitäten, mit denen sich auch Kulturzentren herumzuschlagen haben, oftmals unerbittlich. Auch sie spüren den heißen Atem des Verwertungsdrucks, müssen sich behaupten in Kosten-Nutzen-Rechnungen und geraten dabei auch nicht selten zwischen die Mühlsteine von politischem Argwohn und schikanöser Bürokratie. Die Tyrannei der vermeintlichen Alternativlosigkeit schlägt wie wild um sich, drängt in finanztechnokratische Sachzwänge und verherrlicht den Konsens im Kapitalismus – bei längst unübersehbaren Konflikten, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt in einem größer werdenden Ausmaß gefährden.
Politisches Handeln und Selbstermächtigung
Bei einem Netzwerktreffen von Trans Europe Halles (TEH) vom 5. bis 8. Mai im WUK stellen sich rund 250 Kulturarbeiter_innen aus ganz Europa der Frage, was es für Kulturzentren bedeutet, politisch zu sein. Unter dem Titel „It’s (about) politics. Performing the emancipatory potential of cultural practice“ werden Aspekte von Politisierung, Allianzenbildungen oder der Möglichkeiten politischer Aktionen verhandelt. Das internationale Meeting wird die Welt nicht gleich zum radikal Besseren wenden, sehr wohl aber kann es an diesen Tagen ein klares Zeichen setzen, das sich von der allgemeinen Ohnmacht abwendet und zum Ausdruck bringt, dass Kunst und Kultur nicht hilflos in das globale Klagelied über den Bedeutungsverlust von Politik einstimmen. It's politics! It's about politics! Die Aneignung politischen Handelns geht mit der Selbstermächtigung einher, die den Konflikt führt, in Widerspruch tritt und damit das unaufhebbare Wesen von Demokratie manifestiert. Hier liegen schließlich die Wurzeln unabhängiger Kultureinrichtungen, die nun wieder zu den richtigen Fragestellungen finden müssen: Wie übersetzen wir Empörung in politische Aktion? Wie schaffen wir Raum für Utopien, ohne die Veränderung gar nicht denkbar ist? Wodurch überzeugt unsere kulturelle Praxis, die eine gerechtere Welt glaubhaft antizipiert?
Martin Wassermair ist Historiker, Politikwissenschafter sowie Kultur- und Medienaktivist; aktuell tätig als Politikredakteur bei dorf TV und Radio FRO; zahlreiche Publikationen und Lehraufträge in den Bereichen Kunst, Kultur, Politik, Medien, Informationsgesellschaft, Erinnerungskultur und Politische Bildung.
It’s (about) politics. Performing the emancipatory potential of cultural practice
TEH Meeting 81
5. bis 8. Mai, WUK Areal