Herauswachsen heißt hinschauen

Herauswachsen heißt hinschauen

Über Männlichkeit und das Aufbrechen alter Muster

In Grow out | herauswachsen nimmt das Kollektiv Material für die nächste Schicht männlich sozialisierte Perspektiven ins Visier – radikal neugierig, offen und gleichzeitig schonungslos selbstkritisch. Was bedeutet es heute, ein Junge* oder ein Mann* zu sein? Und wie können wir patriarchale Prägungen sichtbar machen, abbauen – und neue Räume für Identität, Verantwortung und Beziehung öffnen?

Lesezeit: ca. 5 Minuten

„Etwas ist hier. Es ist riesig – und es betrifft uns alle.“ So beginnt die Stückbeschreibung. Die Rede ist vom Patriarchat. Gab es einen Moment, in dem klar wurde: Es ist so riesig, wir müssen darüber ein Stück machen, weil es nicht mehr ignoriert werden kann? Und was hat diesen Moment ausgelöst?

Material für die nächste Schicht: Auf dem Weg zu „Grow out | herauswachsen“ stand zu Beginn vor allem die Beschäftigung mit der zunehmenden wiederkehrenden Normalisierung von toxischer Männlichkeit in der Gesellschaft. Diese Entwicklung ist erschreckend. Was uns dazu führte, uns mit unserer eigenen männlichen Sozialisierung auseinander zu setzen, den toxischen Verhaltensweisen, die uns vermittelt wurden, an denen wir uns noch immer abarbeiten müssen, weil sie so tief in uns und der Gesellschaft verankert sind, die wir aber endlich zur Gänze ablegen wollen. Dass dem allem das Patriarchat, das ja noch für viele weitere Fehlentwicklungen steht, zugrunde liegt, war uns klar, und darauf wollten wir auch mit dem Satz hinweisen – dass unsere Arbeit in einem größeren, allumfassenden Zusammenhang steht, der mit noch weiterem Leid und Ungerechtigkeiten verbunden ist und der nicht ignoriert werden darf. Aber gerade in dem Experiment eine Theaterperformance zu machen, die sowohl – vereinfacht gesagt – Kinderstück als auch Erwachsenenstück sein soll, wollten wir uns auf den Teilbereich der toxisch männlichen Sozialisierung fokussieren. Das war glaub ich auch wichtig für uns, weil wir sonst in der thematischen Fülle untergegangen wären. 

„Grow out | herauswachsen“ richtet sich explizit an ein Publikum ab sechs Jahren und ist dennoch kein Kinderstück  –  eine Herangehensweise, die bei MfdnS üblich geworden ist. Was reizt euch an Stückentwicklungen für Kinder und Erwachsene – und was verändert sich dadurch im künstlerischen Zugriff?

MfdnS: Es sind ja nicht alle Arbeiten von uns so gelagert, auch weil es nicht so viele Orte gibt, die offen sind für derlei Experimente, aber Vielleicht kann man es eher so beschreiben: wir versuchen mal grundsätzlich einfach nur interessante Theaterarbeiten zu machen – das aber in dem Bewusstsein, dass auch hoffentlich Kinder im Publikum sein können bzw. werden. Reizvoll finde ich ja die Publikumssituation, wenn Kinder und Erwachsene als gleichwertig angesprochenes Publikum aufeinandertreffen. Und was dabei passiert, wie die gegenseitige Wahrnehmung ist und vor allem auch was Erwachsene in dem kindlichen Blick und in ihren Reaktionen auf Kunst mitnehmen können – der Austausch, der dabei entstehen kann. 
Was sich in diesem Zugang vor allem ändert ist, dass wir immer wieder auch hinterfragen und überprüfen müssen, was No-Gos für ein Kinderpublikum sind, auch je nach Altersgruppe – wobei ich immer mehr feststelle, dass die meisten No-Gos ja auch im Erwachsenentheater für mich nicht mehr spannend sind. Weiters stellen sich, in nenn es jetzt mal vereinfacht im bestgemeinten Sinne, Zumutungsfragen, die inhaltlich, ästhetisch oder formal gelagert sind.

Die Arbeit an Männlichkeit kann schmerzhaft, konfrontativ und gleichzeitig transformativ sein. Gab es im Probenprozess Momente, in denen ihr euch selbst überrascht habt? In denen euch alte Erfahrungen oder neue Erkenntnisse nähergerückt sind, als ihr vielleicht erwartet hattet?

MfdnS: Uff, natürlich! Es war von Anfang an wichtig, dass wir einen sehr offenen, ehrlichen Prozess losstarten – so etwas ist immer auch schmerzhaft. Aber gerade in Verbindung mit dem Thema durfte es gar nicht anders sein, wir mussten uns gegenseitig auch unsere Verletzlichkeit, unsere Wunden und unsere toxischen Anteile offenlegen. Da landet man schnell auch in der eigenen Kindheit und Jugend und dem Scheiß, den man beigebracht bekommen hat oder mit entsprechender Gewalt abbekommen hat, aber auch selbst reproduziert hat. 

Der Titel „Grow out“ legt nahe, dass es nicht nur um Kritik geht – sondern auch um Bewegung, um ein Herauswachsen. Was bedeutet das für euch persönlich? Und woran macht ihr fest, dass dieser Prozess gelingen kann?

MfdnS: In unserer Theaterarbeit steht die Kritik nicht an vorderster Stelle, die ist ja implizit und muss nicht auf der Bühne wiedergekäut werden, im Gegenteil, sie ist vorausgesetzt und wir wollen davon ausgehend weiter gehen. Also eine Bewegung zeigen, die Möglichkeit eines Herauswachsens aus alten Mustern - wie kann das vielleicht aussehen, was denken wir als männlich sozialisierte Performer*innen ist notwendig, was hätte uns geholfen, was haben wir vermisst und was würden wir gerne weitergeben, um ein herauswachsen zu ermöglichen. Gerade in dieser Arbeit vermischt sich ja die künstlerische mit der täglichen Praxis – sprich, wir konnten vieles auch gleich noch tiefer in unsere Zusammenarbeit und unser Zusammenleben in der Gruppe integrieren. Und schauen uns dabei ganz genau auf die Finger. 

In vielen Produktionen zu Geschlechterrollen, Männlichkeit und dem Patriarchat sitzen im Publikum vor allem Frauen* und queere Menschen. Wen wünscht ihr euch als Publikum für „Grow out | herauswachsen“ – und welche Begegnungen hofft ihr, mit dem Stück auszulösen?

MfdnS: Ja, das ist ein Dilemma, auf alle Fälle. Und zeigt aber auch auf, was uns wichtig ist, dass wir uns dessen bewusst sind, dass nämlich die Hauptarbeit von Frauen* und queeren Menschen gemacht wurde und wird! Denen wir wirklich dankbar sein und die entsprechende Anerkennung zukommen lassen müssen. Natürlich erhoffen wir uns viele Jungs und Männer im Publikum, die neue Zugänge entdecken oder ihre Bedürfnisse gespiegelt sehen und sich dadurch Verhaltensweisen vermeiden oder sich emanzipieren können. Das Tolle ist ja schon mal, dass wir Schulklassen im Publikum haben werden, wo die Diversität ja meist deutlich größer ist als bei Abendvorstellung mit erwachsenem Publikum. 

Aber ich denke auch alle anderen Personen werden in „Grow out | herauswachsen“ etwas entdecken, das ihren Blick auf Männlichkeit, auf damit verbundene Sehnsüchte und Ängste erweitert, sie anregt und auch darüber hinaus geht, denn das Denken in binären Ordnungsstrukturen ist für uns sicher nicht das Ende.

Material für die nächste Schicht: Grow Out | Herauswachsen

Details & Tickets

Selbstkritisch und radikal neugierig nehmen die männlich sozialisierten Performer*innen ihre Rolle unter die Lupe: Wie kann Männlichkeit anders gedacht werden? Welche Verantwortung tragen sie? Und was passiert, wenn sie dieses übermächtige Ding so weit schrumpfen, bis Platz für etwas Neues entsteht?

Do 5.6.2025, 10:00 und 19:30 Uhr | Fr 6.6.2025, 10:00 und 19:30 Uhr | Sa 7.6.2025, 17:00 Uhr


Grow out | herauswachsen

Material für die nächste Schicht

5. - 7. Juni 2025

Saal
Barrierefrei zugänglich

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Mi 18. Jun | 18:30 Uhr

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