Wir haben da was angezündet!

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Auf eine Zigarette mit dem Betriebsrat

Marianne Artmann, Dramaturgin im Dschungel Wien und Saskia Schlichting, Künstlerische Leitung von WUK KinderKultur, sind beide Betriebsrätinnen - Marianne seit 2023 (und zuvor bereits 2014–2018) im Dschungel Wien, Saskia seit 2011 durchgehend im WUK. Beide trafen sich zu einem Gespräch über die Wichtigkeit der Betriebsratsarbeit, insbesondere im Kultursektor.

Lesezeit: ca. 7 Minuten

Welche Sorte raucht ihr?

Marianne: Chesterfield. In Erinnerung an Louise Martini „Ang'fangt hats mit Chesterfield“. Aber vielleicht sollte man jetzt auf eine europäische Marke umsteigen ...
Saskia: Ich bin leider eine notorische Schnorrerin und besitze selten Zigaretten. Das Rauchen hat eine beruhigende Wirkung, deshalb habe ich jetzt auch mal welche dabei. Pepe, die stammen aus Lübeck, so wie das Marzipan. Damit mache ich sie aber auch nicht gesünder. 

Wie kann man sich den Alltag einer Betriebsrätin vorstellen?

M: Man ist zum einen Ansprechperson für die Mitarbeiter*innen, wenn es Fragen oder Probleme gibt – sei es der Arbeitsvertrag, die Arbeitszeitaufzeichnung, Pflegefreistellung oder Elternkarenz. Zum anderen geht es um einen Austausch mit der Geschäftsführung (GF) und darum, sich mit Gesetzesänderungen auseinanderzusetzen, aktuell etwa beim Homeoffice
S: Das Gesetz spricht jetzt nur mehr von Telearbeit. Als Betriebsrat (BR) sind wir eine zentrale Anlaufstelle, insbesondere bei Konflikten und Krisen. Wir erarbeiten Vorschläge zur Verbesserungen von Arbeitsbedingungen und verwalten einen Betriebsratsfonds, aus dem wir zahlreiche Aktivitäten für die Mitarbeiter*innen finanzieren, der aber auch als Sozialfonds funktioniert. Unsere Arbeit ist sehr vielfältig und geprägt von Verantwortung, Kommunikation und strategischem Denken. Allen voran ist es eine schöne Funktion, weil sie einem erlaubt, über den Tellerrand zu schauen.

Was ist die größte Herausforderung im Kulturbereich?

M: Dass nie Geld da ist. Man ist abhängig vom Subventionsgeber. In kleinen und mittleren Kulturbetrieben gelten (bis auf wenige Ausnahmen) keine Kollektivverträge. Das Gehalt wird also frei verhandelt, es gibt keine Biennalsprünge oder Indexanpassungen. Das hat auch dazu geführt, dass sich vor 2 Jahren das Mitarbeiter*innennetzwerk Klein- und Mittelbühnen Wien gegründet hat. Wir haben festgestellt, dass wir trotz der Unterschiedlichkeit der Häuser dasselbe Anliegen haben. Nun versuchen wir, das Bewusstsein für die Situation von Kulturarbeiter*innen zu erhöhen und gemeinsam für faire Gehälter zu kämpfen.
 

S: Eine große Herausforderung liegt in der Balance zwischen künstlerischer Freiheit und arbeitsrechtlichen Anforderungen: Denn die Arbeitszeiten im Kulturbereich sind oft unregelmäßig und machen es manchmal schwer, klare Grenzen zwischen Freizeit und Arbeitszeit zu ziehen. Hier muss der BR sicherstellen, dass trotz dieser Flexibilität die Arbeitsrechte gewahrt bleiben, wie Ruhezeiten und Überstundenregelungen. Und wie Marianne richtig sagt: Der Kulturbereich ist in einem großen Segment krass unterdotiert und häufig geprägt von sehr unregelmäßigen Einkommensmodellen, von befristeten Verträgen und der hohen Zahl an Freiberufler*innen. Das Streben nach Fair Pay und langfristigen Arbeitsverhältnissen, die gleichzeitig mit den finanziellen Rahmenbedingungen des Kulturbereichs vereinbar sind, bleibt ein ständiger Balanceakt. Trotz zahlreicher und hartnäckiger Bemühungen ist Fair Pay vielerorts zu einem Lippenbekenntnis der Kulturpolitik verkommen. Aber solange die Fördergelder für Theaterhäuser nicht indexiert werden, bleibt jede Forderung nach fairer Bezahlung eine Illusion. Dies ist auch eine zentrale Grundsatzforderung der PAKT- Häuser, einer Vereinigung von derzeit 17 kleinen und mittleren Bühnen in Wien. Und angesichts der aktuellen Finanzsituation ist das nicht nur ein strukturelles Problem einzelner Häuser, sondern eine ernstzunehmende Instabilität für die gesamte Kulturbranche.

M: Die Kampagnen und generell die Arbeit der IGs – IG freie Theaterarbeit und IG Kultur – der letzten Jahre halte ich für extrem wichtig und überfällig. Am Thema Fair Pay für Künstler*innen kommt man heute nicht mehr vorbei. Wir Kulturarbeiter*innen tun uns da schwerer. Die Häuser leiden unter einer großen Fluktuation – junge Kolleg*innen fangen an einem kleinen oder mittleren Haus an und wechseln dann zu den großen, weil du mit diesen Gehältern einfach keine Familie erhalten kannst. Dieser Brain Drain ist für die Mitarbeiter*innen sehr belastend. Generell arbeiten in diesem Bereich sehr viele Teilzeit, wir müssen hier auch über Themen wie Altersarmut reden. Auf der anderen Seite sehe ich auch das begrenzte Budget der Häuser. Wenn du ohnehin nur Geld für zweieinhalb Produktionen im Jahr hast, kann man halt nicht so einfach sagen: Macht eine Produktion weniger und erhöht dafür die Gehälter. Gerade die jetzige Situation – Stichwort Budgetloch – ist besonders schwierig. Natürlich stehe ich als Betriebsrätin auf der Seite der Arbeitnehmer*innen und tue alles, um Verbesserungen zu erreichen. Aber wir sind Theaterleute und natürlich wollen wir tolles Programm machen. Man sollte sich nicht zwischen Programm und Personal entscheiden müssen.

Saskia: Ich schlage eine Rauchpause vor. Wie ist das gesetzlich geregelt, wie viele Rauchpausen sind erlaubt?


M: Es ist möglich, die Häufigkeit und Dauer von Rauchpausen in Arbeitsverträgen oder einer Betriebsvereinbarung zu regeln ‒ insbesondere, ob sie als Arbeitszeit gewertet werden oder nicht. Viele Unternehmen setzen auf die Selbstverantwortung der Mitarbeiter*innen: Solange die Arbeit erledigt wird, sind Rauchpausen erlaubt. Ich selbst halte es so: Bei mehr als 6 Stunden Arbeit pro Tag, steht mir eine halbe Stunde Pause zu, die ich auch in mehrere kürzere Pausen unterteilen kann. Das sind meine Rauchpausen. 
S: Ich hätte noch eine weitere Ergänzung zum Thema Herausforderung: Der BR muss sicherstellen, dass alle Mitarbeitenden gleiche Chancen und Rechte haben und Diskriminierung aktiv entgegengewirkt wird. Besonders in Bezug auf Diversität und Gleichstellung gibt es oft noch ungenutzte Potenziale. Im WUK bemühen wir uns seit Jahren, den Kulturbetrieb näher an den Bildungs- und Beratungsbetrieb anzugleichen. Diese unterliegen einem eigenen KV, der Kulturbetrieb hat keinen. Wir haben jetzt alle die 37-Stunden-Woche. Wir kommen mit jeder Betriebsvereinbarung einen Schritt weiter

Was würdet ihr Menschen raten, die überlegen, einen Betriebsrat zu gründen?

M: Macht es. Ein Betriebsrat bietet sowohl für die Arbeitnehmer*innen viele Vorteile als auch für die Arbeitgeber*innenseite. Betriebsvereinbarungen können nur in Betrieben mit Betriebsrat getroffen werden. Damit lässt sich vieles regeln, was sonst nur in Einzelvereinbarungen möglich ist. Und man hat ein Gegenüber, das für die Belegschaft spricht. Wichtig ist, keine Angst zu haben, dass man sich nicht auskennt. Das lernt man alles bei den Seminaren der Gewerkschaft und auch sonst gibt es viel Unterstützung durch Gewerkschaft und Arbeiterkammer.
S: Ja, unbedingt, es reichen drei  Personen für die Gründung. Auch wenn man nicht einem Kollektivvertrag zugehörig ist, lohnt sich eine Mitgliedschaft jedenfalls bei der Gewerkschaft. Es stärkt sie und kann dazu führen, dass sie sich als Plattform auch mehr für die erwähnten Verbesserungen von Arbeitsbedingungen und Entlohnungen einsetzt. Bei arbeitsrechtlichen Problemen hilft sie übrigens bis zum obersten Gerichtshof. Bist du eigentlich Mitglied und was hast du aus den Schulungen mitgenommen?
M: Ja, ich bin bei der GPA, der Gewerkschaft der Angestellten in der Privatwirtschaft. Manche Kolleg*innen sind bei der younion, die aus der Fusion der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten mit der für Kunst, Medien, Sport, freie Berufe entstanden ist. Sehr viele Fragen kann man beantworten, wenn man um nur 2 Dinge weiß: den Stufenbau der Rechtsordnung und das Günstigkeitsprinzip. Klingt kompliziert, ist aber einfach: Die höchste Stufe nehmen Verfassungsgesetze und EU-Recht ein, dann kommen einfache Gesetze, Verordnungen, Kollektivverträge, Betriebsvereinbarungen und schließlich der Arbeitsvertrag. Von oben nach unten darf es für den die Arbeitnehmer*in nur günstiger werden. Sollte beispielsweise ein Arbeitsvertrag eine Verschlechterung gegenüber einer geltenden Betriebsvereinbarung beinhalten, ist diese Passage im Arbeitsvertrag ungültig.

Wie sehen eigentlich Geschäftsführer*innen Betriebsräte?

M: Da gibt es sehr unterschiedliche Ansichten. Mein Rat ist: Betrachtet einen Betriebsrat nicht als Feind und eine Betriebsratsgründung nicht als Meuterei. Es hat viele Vorteile, einen Ansprechpartner zu haben. Und wenn ich noch „meine“ Geschäftsführerin Alexandra Hutter zitieren darf: „Ein Betriebsrat trägt zur Kommunikation zwischen der Belegschaft und der Geschäftsführung bei, kann zu einem positiven Arbeitsumfeld führen und den Erfolg des Unternehmens fördern.“ Sie betrachtet uns jedenfalls als Partner, nicht als Gegner.
S. Bei uns ist das ähnlich. „Ein Betriebsrat hat so viele Funktionen ‒ Impulsgeber, Sprachrohr und Übersetzer. Er bringt wertvolle Perspektiven ein, sorgt für mehr Transparenz und kann so das Miteinander sowie die nachhaltige Entwicklung von Organisationen stärken.“- so ein Zitat von Stephanie Steinwendtner (Geschäftsführung WUK)

Schlussfrage mit Rauchzeichen: Was hält länger – ein guter Kompromiss oder eine schlechte Zigarette?

S: Wenn’s gut läuft, der Kompromiss. Wenn nicht, bleibt wenigstens Zeit für eine Zigarette zum Nachdenken – oder im besten Fall für eine Friedenspfeife. Denn auch wenn der Betriebsrat unbequem ist, kritisch bleibt und solidarisch handelt: Am Ende geht’s darum, gemeinsam etwas anzuzünden – Veränderung nämlich.

Alle Infos zur Gründung eines Betriebsrats unter: mir-reichts.at

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