H.P. Lovecraft: Grell und Dunkel

H.P. Lovecraft, Vom Jenseits und anderen Geschichten (c) Erik Kriek
(c) Erik Kriek

H.P. Lovecraft: Grell und Dunkel

Ein Text von Robert Stähr

Robert Stähr schreibt über H.P. Lovecraft, dessen ausgewählte Erzählungen der Niederländer Erik Kriek in das Comic-Genre übertragen hat.

Ich bin über Edgar Allan Poeauf Howard Phillips Lovecraft gestoßen. Poes nachtseitige Szenarien und albtraumhafte Erzählungen faszinieren mich, lange nach ihrer zum Teil mehrmaligen Lektüre, bis heute. Das Nachtseitige, die Albträume in dessen Texten haben mir gleichsam den „Link“ zu jenen des fast hundert Jahre später lebenden und schreibenden H.P. Lovecraft (1890 bis 1937) gelegt.

Nicht nur Edgar Allan Poe, auch H.G. (Herbert George) Wells, wie Lovecraft und Poe US-Amerikaner bekannt, bildet so etwas wie einen literarischen Reibebaum für Lovecraft. Wells umfangreiches Werk gesellschaftskritisch inspirierter utopischer Erzählungen und Romane bespielt ein ganz anderes Feld als Lovecraft und auch Poe; in den Appellen an das Dunkle, Unterbewusste, Mysteriöse in der menschlichen Psyche und Vorstellungskraft treffen sich die Genres der drei Autoren aber.

H.P. Lovecrafts Erzählungen werden, eingereiht in das literarische Oeuvre des Phantastischen, häufig einer weniger anspruchsvollen Literatur als die von Poe oder Wells zugerechnet; Etiketten wie „Horror“ und „Mystery“ lassen den Autor in die Nähe von – zum Beispiel – Stephen King rücken und unter den Verdacht des Trivialen stellen.

Wahrscheinlich greifen die angesprochenen Etiketten für das Werk von H.P. Lovecraft zu kurz. Freilich zielt der Autor im Gros seiner Erzählungen in direkter Weise auf Vorstellungen und Gefühle ab, die man mit Schauder, Entsetzen und eben… Horror beschreiben kann. Er spart nicht mit entsprechenden Adjektiven, welche die Reaktionen der LeserInnen vorwegzunehmen trachten. Doch es lohnt, hier anzusetzen und tiefer zu schürfen.

H.P. Lovecraft (c) Erik Kriek
H.P. Lovecraft, Vom Jenseits und anderen Geschichten (c) Erik Kriek

Raum und Zeit, schwer zugängliche Räume und geographisch abgelegene Orte, welche den Fluss und Wandel der Zeit gleichsam in sich tragen, sind die Schauplätze in beinahe allen Erzählungen Lovecrafts: rattenverseuchte Gemäuer, Kellergewölbe, unterirdische oder versunkene Labyrinthe, in die seit undenklichen Zeiten („Äonen“) kein Mensch vorgedrungen ist, und dergleichen mehr prägen die Texte. Die Dimensionen Raum und Zeit werden durch jene der Träume, schrecklicher nächtlicher Albträume, ergänzt, manchmal konterkariert. Auch geheimnisvolle Schriftzeichen und Texte, Schriftrollen etc. sind immer wiederkehrende Elemente des Mysteriösen, Unerklärlichen, aber auch Bedeutungsschwangeren. 

Der Appell ans Unterbewusste der LeserInnen geschieht plakativ, er zielt direkt in die Nachtseite der Seele. Bei aller Plakativität zeugen die Texte von einer grellen Phantasie, deren Reichhaltigkeit mich bei der Lektüre von Beginn an erstaunte, ja verblüffte. Sie steht freilich immer im Dienste unmittelbarer Wirkung auf die LeserInnen; um Hintergründigkeit oder gar um psychologischen Diskurs dürfte es dem Autor weniger gegangen sein, auch wenn der Mastermind des Unterbewussten, Sigmund Freud, quasi „aus der Ferne winkt“.

Am Topos des Unterbewussten, an dem hier gerührt wird, kommt man bei der Beschäftigung mit Autoren vom Schlage H.P. Lovecrafts nicht vorbei. In seinen Erzählungen manifestiert sich in Träumen, Absencen u.ä. immer wieder ein Einfallstor für ein Spiel mit verschiedenen Identitäten ein- und desselben Protagonisten, die diesem bis dorthin nicht oder eben unter-bewusst waren.

Lovecraft ist vor allem mit seinen in den zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts (früher entstandene kurze Texte werden auf einer quasi offiziellen Website zu Lovecraft als bedeutungslos eingestuft) geschriebenen Erzählungen Vorreiter und exponierter Vertreter einer Literatur, deren Blaupause Lovecraft durch ebendiese Vorreiterrolle erst geschaffen haben dürfte.

Auf besagter Website werden in einer Aufzählung von LiteratInnen, die von Lovecraft beeinflusst wurden, neben Namen, die ich großteils noch nie gehört habe, LiebhaberInnen des Genres aber möglicherweise ein Begriff sind, auch Autoren wie Arno Schmidt, H.C. Artmann und sogar der kürzlich verstorbene Semiotiker und Romancier Umberto Eco genannt. Artmann, Exponent der in den Fünfzigern und Sechzigern aktiven Wiener Gruppe, surrealistisch und anarchistisch inspirierter und stark an Sprachexperimenten interessierter Dichter, war ein ausgewiesener Freund und Kenner phantastischer Literatur und scheint in einem in der „Phantastischen Bibliothek“ des Suhrkamp-Verlags publizierten Sammelband der wichtigsten Erzählungen H.P. Lovecrafts als einer von zwei Übersetzern auf.

Es ist offensichtlich, dass Lovecrafts Texte Impuls- und Stoffgeber für KünstlerInnen unterschiedlicher Provenienz und heterogenen Anspruchs waren und immer noch sind. Sinnvoll erscheint es, sein Oeuvre im popkulturellen Kontext zu verorten, dort, wo einschlägige Motive und Sujets gewissermaßen frei flottieren, Stimmungen, Ängste, gesellschaftliche Trends zeitnah und direkter zum Ausdruck kommen.

H.P. Lovecraft, Vom Jenseits und anderen Geschichten (c) Erik Kriek
H.P. Lovecraft, Vom Jenseits und anderen Geschichten (c) Erik Kriek

Fantasy und Horror wurden und werden bis in die Gegenwart massenwirksam vom Medium Film bedient. Drehbuchautoren und Regisseure (fast ausschließlich Männer) plündern mehr oder minder schamlos den Fundus an Figuren, Schauplätzen und Situationen, welche nicht nur, aber auch ein Autor wie Lovecraft geschaffen hat. Der Wunsch nach Flucht aus der „Realität“ als Massenphänomen, Eskapismus als Reaktion nicht zuletzt auf soziale, ökonomische und ökologische Unsicherheit bereiten den Boden für den Erfolg von Filmen und Büchern.

Unter Science Fiction laufende TV-Serien und Filmen wollen zumeist nicht mehr sein als Unterhaltung, was sich – und damit zurück zu H.P. Lovecraft - von seinen Werken und jenen seiner Epigonen nicht einfach behaupten lässt. Zu sehr fördern sie in der menschlichen Psyche verborgene Ängste und Unsicherheiten zutage, rühren damit an das Existentielle. Das freilich macht die Wirkung dieser Texte aus, verankert sie im individuellen und kollektiven Gedächtnis. 

Der Niederländer Erik Kriek hat ausgewählte Erzählungen Lovecrafts in das Comic-Genre übertragen. Seine in Schwarzweiß gehaltenen Arbeiten leuchten die Textvorlagen des Autors grell aus und lassen trotzdem dunkle Nischen, in denen sich Assoziationen der BetrachterInnen einnisten können, frei. Kriek kombiniert geschickt erzählende Textpassagen, comictypische Worte und Dialoge der handelnden Personen mit scharf konturierten Bildern zu Bild-Text-Geschichten, die Lovecrafts Erzählungen neue Aufmerksamkeit bringen dürften.

Der Comic Künstler Erik Kriek zu Gast bei der Kinder- und Jugendliteraturwoche Oktober 2016

Erik Kriek: Ich bin ein sehr positiver Mensch

Der niederländisch-finnische Comic-Künstler Erik Kriek ist seit seiner Kindheit fasziniert von Horror- und Gruselgeschichten. Im Rahmen des Literaturfestivals „Twee buren, één taal – Zwei Nachbarn, eine Sprache“ wird er aus seinem Werk „H.P. Lovecraft. Vom Jenseits und anderen Geschichten“ lesen.

Du wurdest 2008 bereits mit 42 Jahren mit dem höchsten niederländischen Comicpreis "Stripschapprijs" für dein Lebenswerk ausgezeichnet. Wann hast du mit deinen ersten Comics begonnen und haben deine Eltern dieses Talent gefördert?

Ich habe immer schon gezeichnet, aber mit Comics habe ich erst 1994 begonnen. Das war nach meinem Abschluss an der Kunsthochschule. Ich wollte immer gern Illustrator werden, und Comics sind mir immer wieder begegnet auf meinem Weg. In der Familie meiner Mutter gibt es viele Künstler und Künstlerinnen. Meine Eltern sind immer sehr stolz auf mich gewesen. Meine Schwester ist ebenfalls Künstlerin und mein Bruder ist archäologischer Illustrator.

Der amerikanische Autor Howard Philips Lovecraft gilt als der einflussreichste Horrorautor des 20. Jahrhunderts, der ein sehr einsames und kurzes Leben hatte, und posthum mehr als hundert Erzählungen hinterließ. Wie erfolgte deine Auswahl für „Vom Jenseits“? Was interessierte dich an Lovecrafts kosmischem Horror am meisten?

Lovecraft schrieb in den 20er und 30er Jahren, einer Zeit, in der die Genrebegrenzungen noch nicht definiert waren. Stärker noch: Er hat sie gestaltet! Ich habe also versucht fünf Geschichten zu nehmen, die alle Genres, die H.P. geschrieben hat, repräsentieren: Science Fiction, Fantasy und Horror. Natürlich spielte auch meine persönliche Auswahl eine Rolle und ebenso der technische Aspekt; nicht alle Geschichten sind grafisch umsetzbar.

Es ist bekannt, dass du seit deiner Kindheit ein Faible für Horrorgeschichten hast. Woher kommt diese Faszination fürs Makabre und die große Liebe für das schwarze Genre?

Jeder fragt mich das, aber ich fürchte, ich habe keine passende Antwort darauf. Ich habe Angst vor Gewalt. Wenn ich z.B. in der Stadt einen Unfall sehe, mache ich mit dem Rad einen großen Bogen darum. Ich kann kein echtes Blut sehen. Wenn es aber in der Vorstellung Gewalt gibt (und für mich ist diese Grenze zwischen Fiktion und Realität absolut!), dann kann es für mich richtig schaurig sein. Ich bin ein sehr positiver und glücklicher Mensch, darum habe ich vielleicht diese Faszination zu düsteren Geschichten. Ich weiß es einfach nicht.  

Für dein neuestes, mittlerweile sehr erfolgreiches Werk „In the Pines“ greifst du die Tradition der amerikanischen Folksongs auf. Es handelt von Mördern, Liedern und Mädchenleichen, denen du ein schauriges Denkmal setzt. Du hast die Folk- und Bluegrasssongs als Ausgangspunkt für deine eigenen Geschichten benutzt? Worin lag da der Reiz?

Frage Comiczeichner und jeder sagt das Gleiche: Musik ist ein sehr naher Freund beim Arbeiten. Es sind ja doch viele, viele Stunden, die man ganz alleine am Zeichentisch verbringt. Ich mache eigentlich länger Musik als ich Comics zeichne. Ich habe mit meinem Bruder zusammen lange Zeit in einer Folkband gespielt: also Country, Folk, Bluegrass, Americana. Das ist eine alte Leidenschaft von mir. Die Texte mancher Lieder sind wie kleine, komprimierte Romane. Wenn ich zuhöre, sehe ich die Bilder in meinem Kopf. Es war also ein kleiner Schritt das in eine grafische Form zu bringen. Ich habe dabei einen Stil gesucht, der ein bisschen dem Holzschnitt und Siebdruck ähnlich ist.

Dem Comic ist eine CD beigefügt, auf der du zusammen mit einer Band diese Songs aufgenommen hast. Wie entstand diese gemeinsame Arbeit?

„The Bluegrass Boogiemen“ sind eine sehr erfolgreiche Band in Holland (und in den USA), und es sind auch gute Freunde von mir. Die CD war so ein tolles Angebot von ihnen, da konnte ich doch nicht nein sagen!

Wie muss man sich eigentlich eine Comic-Lesung vorstellen?

Ich weiß es auch nicht. Wir werden mal schauen wie das geht!

Erik Kriek liest am Fr 7.10. im im Rahmen der 22. Kinder- und Jugendliteraturwoche "Tweeburen, één taal" im WUK, Museum.

Robert Stähr lebt und arbeitet als literarischer Autor und Lektor in Linz.

Diese Artikel könnten dich auch interessieren: