Zeit

Mi 10.11.2004 - Fr 10.12.2004

Ort

Kunsthalle Exnergasse

Jane Benson, “hanging bush”, 2004, foil garlands & spray paint, dimensions variable, Detail
Kunst

AMERICAN VISIONS AND REVISIONS

Ausstellung

Eröffnung: Mi 10.11. 2004, 19 Uhr

kuratiert von: Erin Donnelly und Susanna Cole

KünstlerInnen: Ayreen Anastas, Jane Benson, Rene Gabri, Benj Gerdes, Alina Viola Grumiller, Alia Hasan-Khan, Marc Lepson, Pia Lindman, Oliver Ressler, Nida Sinnokrot, Karina Aguilera Skvirsky, David Thorne

Die vergangenen zwei Jahre hindurch haben Künstlerinnen und Künstler nicht nur zur rechten Zeit wichtige Einsichten in die Außenpolitik der Vereinigten Staaten geliefert, sondern auch in die Darstellung ebendieser Politik in den Medien und in den prägenden Einfluss der Medien auf die Herstellung von Meinungen über globale Ereignisse. Diese Künstlerinnen und Künstler kritisieren die verschiedenen Medien, um die von Massenkommunikationsmitteln wie Film, Fernsehen, Print- und Elektronikmedien geschaffene Fassade zu durchbrechen und die Konstruiertheit ihrer Autorität sichtbar zu machen.

Performances: Do 11.11. 2004, 12 und 17 Uhr "New York Times Performance Tour in Vienna"
 
Ausgehend von der Kunsthalle Exnergasse ein jeweils ca. 1,5 h Rundgang zu Denkmälern in Wien mit Performances von Pia Lindman. 

In den vergangenen drei Jahren haben in den USA arbeitende KünstlerInnen, und zwar StaatsbürgerInnen und andere, prompte und wichtige Einsichten zur Außenpolitik der Vereinigten Staaten, zur Darstellung dieser Politik in den Medien und zum prägenden Einfluss der Medien auf die Herstellung von Meinungen über globale Ereignisse geliefert. Diese KünstlerInnen kritisieren nicht nur Film und Video, sondern auch Print- und elektronische Medien, um den Blick hinter die durch sie geschaffene Fassade freizumachen und den Konstruiertheit ihrer Autorität sichtbar zu machen.

Es ist ein Gemeinplatz, dem Informationszeitalter das Nivellieren auseinander gehender kultureller Gesichtspunkte anzulasten. Trotz dieser Nivellierung gibt es wirkliche, tief empfundene Distanzen und Differenzen zu den Wahrnehmungen und Erfahrungen, die zum Teil von einer dünnen, sich selbst kontrollierenden Privilegiertenschicht aus AmerikanerInnen des Geschäfts- und Verwaltungslebens geschaffen und aufrechterhalten werden. Diese jüngsten Arbeiten von zeitgenössischen KünstlerInnen erkennen die Rolle, die Klischeebilder bei der Schaffung und Verhärtung der amerikanischen Abschottung, des Isolationismus und des falschen Patriotismus spielen – d.h. bei der Schaffung und Verhärtung eines Ichs im Gegensatz zum anderen. Auch schlagen sie die deren Ersetzung durch dialektische Beziehungen vor, aus denen ein neues Verständnis von nationaler Politik und globaler Realität erwachsen kann.

In diesem Sinne eignen sich einige der Kunstwerke die visuelle Sprache der dominanten Medien an, um der Öffentlichkeit neue Sichtweisen und einen neuen Sammelpunkt zu ermöglichen. Nida Sinnokrots Untitled Shutter (2002) überblickt noch einmal die Entwicklung der Verwendung des fotografischen Bildes im Europa des 19. Jahrhunderts, um dessen Wünsche und Ängste auf den Orient zu projizieren. Die Kolonisation mittels Abbildens und damit verbundenen Stehlens der Seelen der Abgebildeten wird dem Ausstellungspublikum als Schnappgeräusch eines Kameraverschlusses vorgeführt. Karina Aguilera Skvirskys A Nation Challenged (2003) ist nach einer Sonderbeilage der New York Times aus dem Jahr nach dem 11. September 2001 benannt, die den bei den Anschlägen Getöteten und den vielen Themen gewidmet war, die im Anschluss an die Anschläge auftauchten, inklusive der von Sentimentalität und Eigeninteressen getragenen Artikel über das afghanische Volk. Mit Photoshop montierte Skvirsky Fotos von AfghanInnen aus der New York Times in eine Comicszene aus dem Wilden Westen und fügte von ihr veränderte Bildunterschriften ein, um bestimmte Aspekte der Texte zu karikieren. Die entstandenen Bilder lassen die Fotos der New York Times plötzlich weniger sentimental, weniger fremd und zugleich weniger offensichtlich fiktiv aussehen. Pia Lindmans Arbeit New York Times (2004) ist ein Register der Körpersprache der Trauer. Als Ausgangspunkt nimmt Lindman jene Fotos von trauernden Terroropfern, die zwischen September 2002 und September 2003 so häufig in der NY Times veröffentlicht wurden. Die Nüchternheit und Dekorativität ihrer Arbeiten steht in scharfem Kontrast zur aufgeheizten Aura der ursprünglichen Fotos. Damit beraubt Lindman die Bilder ihrer Hülle aus kulturellem Sentiment und wirft einen kühlen Blick auf die Gesten, die wir zum Ausdruck unserer Trauer gebrauchen. Wenn auch schonungslos unsentimental, ist New York Times auf dem Weg von einem überhöhten Selbstbewusstsein zum Ausdruck des Unselbstbewussten und Elementaren letztlich entschieden zuversichtlich.

Die durch den US Patriot Act ermöglichten Operationen des Büros für innere Sicherheit (Office of Homeland Security) und der Geheimpolizei werden in Marc Lepsons Metropolitan Detention Center, Brooklyn, NY (Breathe) aus dem Jahr 2002 kenntlich. Lepson arbeitete sich durch die Mediendarstellungen jener Tausenden von AraberInnen, SüdasiatInnen und moslemischen ImmigrantInnen, die seit dem 9. September 2001 willkürlich und im Geheimen verhaftet wurden. Siebdruckmuster vor den Gefängnisfassaden, hinter denen die Verhafteten festgehalten werden, verringern durch Perspektivwechsel die Tiefe der Gebäude, während durch die Wiederholung von baulichen Details an der Fassade traditionelle islamische Stoff- und Fliesenmuster evoziert werden. Im Gegensatz zu den in den Medien gebrachten Narrativen nimmt Lepsons Arbeit die Erfahrung der zum Schweigen Gebrachten auf. Nicht zuletzt wirft Breathe wichtige Fragen zur Zivilgesellschaft in den Vereinigten Staaten auf. Im Herbst 2002 wiederum lancierten Rene Gabri und Ayreen Anastas die fiktive Website http://www.hscb.org/ eines fiktiven "Homeland Security Cultural Bureau", das sich für das Abdrehen der 16beavergroup verantwortlich bekannte. Diese Aktion ist zusammen mit den daraus resultierenden Reaktionen aufhttp://www.16beavergroup.org/radioactive/ dokumentiert. Mit den Arbeiten My Wife’s Visa und Babies (2004) zeigen uns Gabri und Anastas zwei dieser Reaktionen. Erstere beinhaltet die Anfrage um Hilfestellung bei der Umgehung einiger der komplizierteren Sicherheits- und Einwanderungsverordnungen, die andere einen paranoiden Versuch, sich als Helfer gegen die Invasion ausländischer Babys zu engagieren. Diese beiden authentischen Stimmen ermöglichen uns ein Nachdenken über die Kräfte, die solch eine Institution, ob sie nun real oder fiktiv sein mag, freisetzt.

Die Karikierung und Abwertung kriegerischen Heldentums, Großmuts und Schönheit ist zwar kein neues Thema, wird hier aber auf neue und visuell überraschende Art behandelt. Gift von Alia Hasan-Khan (2002) hält die Ironie der humanitären Bemühungen der USA in Afghanistan fest. Die Arbeit umfasst Objekte, die den im Oktober 2001 von den USA in Afghanistan abgeworfenen Lebensmittelpaketen nachempfunden sind, welche dieselbe gelbe Farbe hatten wie die von der amerikanischen Luftwaffe abgeworfenen Streubomben. Die Pakete enthielten Erdnussbutter und Gelee, Bohnensalat, einen Müsliriegel und Butterkekse sowie eine Gebrauchsanweisung auf Englisch, Französisch und Spanisch – d.h. in Afghanistan unbekannte Lebensmittel mit Texten, die in Sprachen verfasst sind, die man dort nicht spricht. Zusätzliche Radioausendungen beschrieben später den Unterschied zwischen den Streubomben und den eckigen Lebensmittelpaketen, denen fortan Illustrationen als Gebrauchsanweisung beigegeben wurden. Im Rahmen der Installation Underbush (2004) wiederum schmückt Jane Benson die Decke des Ausstellungsraums mit Stanniolgirlanden und ändert deren feierliche Bedeutung, indem sie die glänzenden Folienfarben mit matten Tarnfarben übermalt. Unter diesem prachtvollen und beunruhigenden "Kronleuchter" befindet sich eine ähnliche Arbeit, nämlich ein zerlegter und seiner auratischen Kraft beraubter Tarnoverall. Bensons Bilder machen die tückische und hohle Selbstüberschätzung jener Leute sichtbar, die mitten im funkelnden Kriegsspektakel mit Militärkleidung kokettieren.

Bis zu einem gewissen Grad steht die Vorstellung der schieren Möglichkeit des Protests im Zentrum jedes oppositionellen Kunstwerks. On the Passage of Millions of People through a not brief enough Period of Time (2004) von Benj Gerdes und Alina Viola Grumiller ist ein 30-minütiger Videoessay aus dokumentarischen Aufnahmen und Interviews, die August 2004 im Rahmen der Nationalversammlung der RepublikanerInnen in New York gemacht wurden. Er behandelt das Verhältnis zwischen Architektur und dem menschlichen Körper bei heutigen Massenprotesten. Gerdes und Grumiller untersuchen die Möglichkeit, eine wirkungsvolle Demonstration in einer großen und stimulierenden Stadt wie New York zu machen, die mit Events gesättigt ist und traditionelle Protestformen daher im städtischen Umfeld versickern lässt, das zugleich privatisiert und immens öffentlich ist. Mit ihrem Augenmerk auf die architektonischen Zwischenräume zwischen Straßen und Gebäuden sowie auf die zwischenmenschlichen Räume orten Gerdes und Grumiller umfangreiche neue Protest- und Dokumentationsmöglichkeiten. Three Proposals for Banners (2004) von Oliver Ressler und David Thorne schließlich ist Teil eine größeren Zusammenarbeit namens Boom. Der erste Entwurf bestand aus drei Fahnen, die verschiedene, dysfunktionale URLs von Webseiten mit politischen Statements ankündigen. Der hier ausgestellte zweite Entwurf kreiert für die neuen URLs architektonische Räume, die untypisch für die übliche didaktische Rhetorik oppositioneller Politik sind.

In diesem Augenblick missachtet die Regierung der Vereinigten Staaten sowohl im Inland als auch im Ausland und in noch nie da gewesenem Ausmaß – sogar noch mehr, als wir uns bei der Ausarbeitung dieser Ausstellung vorstellen konnten – die Menschrechte. Die Hälfte der Bevölkerung und große Teile der Welt stößt diese Missachtung ab. Wir sind den hier präsentierten KünstlerInnen dankbar, dass sie nicht schweigen und wegsehen. Unter den sich erhebenden Stimmen der Opposition imaginiert ihre Arbeit die Mittel zu neuen Visionen.

 

Susanna Cole