ZU HÖREN

schwarzes Feld mit weißen sich überschneidenden, an den Seiten offenen Kreisen, darin stehen die Worte ZU HÖREN

ZU HÖREN

Die leise Kunst

Noch nie haben Menschen so viel gesprochen, geschrieben, gepostet – und trotzdem ist echtes Zuhören selten so kostbar wie heute. Eine Paradoxie unserer Zeit. Während die Worte sich vervielfältigen, verknappt sich die Aufmerksamkeit. Und mitten in dieser Überfülle scheint etwas elementar Menschliches verlorenzugehen: die Fähigkeit, einander wirklich zu hören, wahrzunehmen.

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Noch nie haben Menschen so viel gesprochen, geschrieben, gepostet – und trotzdem ist echtes Zuhören selten so kostbar wie heute. Eine Paradoxie unserer Zeit. Während die Worte sich vervielfältigen, verknappt sich die Aufmerksamkeit. Und mitten in dieser Überfülle scheint etwas elementar Menschliches verlorenzugehen: die Fähigkeit, einander wirklich zu hören, wahrzunehmen.

Zuhören als Haltung

Besonders sichtbar wird dies in digitalen Öffentlichkeiten: Sie leben vom schnellen Reagieren, nicht vom geduldigen Verstehen. Plattformlogiken bevorzugen Meinungsäußerung vor Zuhören. Das führt zu einer Kultur der Antworten, bevor überhaupt Fragen gestellt wurden. Wir debattieren, bevor wir verstanden haben. Wir widersprechen, bevor wir zugehört haben. Wir positionieren uns, bevor wir uns vergewissert haben, worum es überhaupt geht.

Zuhören – wirklich zuhören – ist deshalb ein Akt der Verlangsamung. Es schenkt Raum für Nachdenklichkeit in einer Zeit, in der das Raumnehmen für Gedanken eher als Schwäche denn als Stärke betrachtet wird. In einer Gesellschaft, die immer stärker polarisiert, beschleunigt und segmentiert ist, wirkt die Haltung des aktiven Zuhörens fast subversiv.

Zuhören ist also eine unterschätzte Kulturkompetenz. Nicht im Sinne einer rhetorischen Technik, die in Trainings angeeignet werden kann, sondern als Haltung. Wer zuhört, unterbricht den eigenen Monolog und akzeptiert, dass die eigene Sicht nicht die einzige ist. Zuhören schafft beim Gegenüber das Gefühl: „Ich werde gesehen und ernst genommen.“ Und ermöglicht damit Gemeinschaft. 

Zuhören und sozialer Zusammenhalt

Gesellschaftlicher Zusammenhalt entsteht nicht, wenn alle Menschen derselben Meinung sind. Er entsteht, weil Menschen sich trotz ihrer Unterschiede als Teil eines Gemeinsamen fühlen. 

Wer sich gehört fühlt, muss weniger um Lautstärke kämpfen. Anerkennung – die Grundform sozialen Respekts – zeigt sich nicht in Zustimmung, sondern im Wahrnehmen. Zuhören zügelt also impulsive Abwertung, öffnet Räume der Verständigung und verhindert Eskalation.

Besonders wichtig: Zuhören bestimmt, wer in einer Gesellschaft Teilhabe erfährt. Wem wird zugehört, wer gehört dazu? Menschen, deren Stimmen systematisch überhört werden, verlieren Vertrauen – in andere Menschen und in demokratische Strukturen.

Zuhören und Demokratie

Demokratie ist im Kern ein dialogisches System. Sie lebt davon, dass Menschen mit ihren unterschiedlichen Interessen und Erfahrungen miteinander ins Gespräch kommen. Doch Dialog entsteht nicht durch Sprechen allein. Er entsteht erst dadurch, dass Menschen sich gegenseitig Raum geben. Zuhören ist also demokratische Praxis: Es teilt Macht. Denn wer zuhört, verzichtet auf Vorherrschaft im Gespräch. In einer pluralistischen Gesellschaft ist das nicht Schwäche, sondern Verantwortung.

Eine Demokratie, in der Menschen einander nicht mehr zuhören, verliert ihre Fähigkeit zur Verständigung. 

ZU HÖREN als WUK Jahresthema

Wie können wir auf die Kulturtechnik Zuhören aufmerksam machen? Wir als WUK – als Veranstaltungshaus, als Versuchsanstalt für immer, als Ort für Soziales und des gesellschaftspolitischen Ausverhandelns, als Heimat für pluralistische Kunst. In den kommenden beiden Jahren machen wir Zuhören zum Schwerpunkt. Wir fragen und hinterfragen, wer gehört wird, halten inne und lassen andere sprechen. Wir üben die Umverteilung und versuchen, noch mehr Barrieren abzubauen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, sondern um den Raum für Dialog und Ausverhandlung zu öffnen. Wir möchten diesen Schwerpunkt nutzen, um zu lernen, zu verlernen und neue Perspektiven zu gewinnen. Sei es, indem wir Jugendliche zu Wort kommen lassen, die ihre Sicht auf die Gesellschaft mit uns teilen, oder indem wir Künstler*innen aus dem Haus dazu einladen, sich künstlerisch mit dem Zuhören auseinanderzusetzen.

Zudem nehmen wir das Zuhören sehr wörtlich und hinterfragen, wer akustisch bisher ausgeschlossen wurde, also an unserem Programm und den Angeboten nicht teilnehmen konnte, weil es auf ein Publikum ausgerichtet ist, das (gut) hören kann. Um uns auf dieser Ebene zu öffnen, planen wir zum Beispiel eine Deaf Performance im Rahmen der Platzkonzerte im Sommer. Dabei wird das zum Hören Dargebotene von Deaf Performer*innen in sichtbare Gebärden übersetzt und so mehr Menschen zugänglich gemacht.  Zukünftig soll es, als weiteres Beispiel, möglich sein, bei Führungen mittels FM-Anlagen das Gesagte direkt in ein Hörgerät oder ein Cochlea-Implantat übertragen zu bekommen.   

Wir setzen kleine Schritte, werden dazulernen und bestimmt nicht alles perfekt machen, aber das soll dieser Schwerpunkt ja auch ermöglichen, nämlich Zuhören als aktives Handeln zu begreifen und einen Raum des Austauschs zu öffnen. (red)