Keine Heimat ohne Demokratie.
Ich hab’ ein Problem mit dieser „Heimat“. Ein großes. Eines, das mich schon seit über zwei Jahren so intensiv beschäftigt, dass ich ihm zwei Alben, unzählige Stunden meines Lebens, eine Forschungsarbeit, eine eher mittelmäßige Bachelorarbeit und nun schon wieder einen Artikel widme.
Diese „Heimat“ bestimmt einen ziemlich großen Teil meiner Identität, aber etwas in mir wehrt sich vehement dagegen. Ich will sie umkrempeln, mitgestalten, verhandeln, weiterentwickeln, durcheinanderbringen, zerreißen, demokratisieren – ich will eine „Heimat“ für alle!
Das ist ja wohl das Mindeste.
Über „Heimat“
Seit ich begonnen habe, an meinem ersten Album zu arbeiten, beschäftigt mich das Thema „Heimat“ intensiv. Der Begriff alleine ist schon ein Paradigma. Er kann für manche so viel bedeuten, für jede*n etwas Anderes, und für andere nicht einmal existieren. Der Volkskundler Konrad Köstlin erklärte in einem Symposium 1995, dass „Heimat“ erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Idee verstanden wurde – eine Reaktion auf die Ängste vor Modernisierung und Industrialisierung. Heimatbewegungen stellten Sesshaftigkeit und Beständigkeit den Veränderungen der Moderne entgegen. Später wurden Tradition und Tracht gesetzlich gefördert, in die Staatsideologie integriert und im Nationalsozialismus wurde „Heimat“ endgültig politisch instrumentalisiert. Der Begriff scheint für Demokrat*innen kaum noch nutzbar zu sein.
[1] Köstlin, K. (27. Februar 1995). Heimatgedanken – Heimat als Identitätsfabrik? Österreichische Mediathek. von https://www.mediathek.at/atom/090DC1C8-3B7-0011E-00000C8C-090D2064 abgerufen

Back to „Heimat“
Das Bedürfnis, „Heimat“ zu schützen, scheint sich besonders in Zeiten rasanter Veränderungen zu verstärken. Pandemie-Folgen, Klimakrise, Migration, Technologie- und Informationsflut über Wirtschaftskrise bis hin zu Krieg, Genozid und sozialer Ungerechtigkeit – dafür scheint jetzt wieder gutes Timing zu sein. Der Rechtspopulismus nutzt dieses Narrativ und setzt politisch auf Schlagwörter wie „Leitkultur“ oder „Remigration“.
Gleichzeitig ist die Gesellschaft toleranter und emanzipierter geworden, was sich besonders im Sprachwandel hin zu inklusiver, diskriminierungsfreier Sprache zeigt. Dieser Wandel stellt für viele eine Herausforderung dar und stößt dadurch auf Ablehnung. Rechtspopulistische Parteien entwickeln eine Art Gegenbewegung zu diesen Sprachveränderungen. Oft ist dann die Rede von „Verschandelung, Wahn oder Gaga“. Jene Menschen, die mit dem Sprach- und Wertewandel in ihrer „Heimat“ nicht einverstanden sind, werden für rechtspopulistische Parteien ansprechbar, das muss nicht zwingend bedeuten, dass jene Wähler*innen rechte Werte vertreten.
„Heimat“ demokratisch machen
„Heimat“ ist eng mit Identität und Zugehörigkeit verbunden, bedeutet aber zwangsläufig auch Ausgrenzung – das lehrt uns die Geschichte. Eine statische Vorstellung von „Heimat“ ist Illusion – vielmehr sollte sie so dynamisch verstanden werden wie die Sprache, die sie prägt.
„Heimat“ muss demokratisch gedacht werden: Alle, die sie an einem Ort finden, gestalten diesen Ort mit und übernehmen Verantwortung. Dafür braucht es offene Räume für Diskurs, die heute meist nur noch in abgeschlossenen Mikrokosmen existieren. Besonders im linken Spektrum ist es wichtig zu erkennen, dass politische Korrektheit ein Prozess ist und vorschnelles Canceln lediglich die Kluft verstärkt. Notwendig sind Dialoge auch außerhalb der eigenen Bubble. So anstrengend sie sein mögen: Niemand darf zurückgelassen werden. Mein Werkzeug dafür ist der Dialekt: Er ermöglicht Kommunikation auf Augenhöhe und kann im künstlerischen Kontext von einer abgewerteten zu einer kulturell wertvollen Ausdrucksform werden.
„Heimat“ darf nicht jenen überlassen werden, die sie zur Ausgrenzung missbrauchen. Wenn wir sie nicht selbst offen, solidarisch und demokratisch gestalten, werden andere sie für uns definieren.
„Heimat“ gehört uns allen – und sie lebt nur, wenn wir sie gemeinsam verteidigen und erneuern.
Text: Anna Buchegger - Nach ihrem viel beachteten Debütalbum „Windschatten“ (Oktober 2024) – ausgezeichnet mit dem Hubert von Goisern Kulturpreis, zwei Amadeus Award-Nominierungen und einem ARTE TRACKS-Porträt – veröffentlicht die österreichische Musikerin Anna Buchegger am 3. Oktober 2025 ihr zweites Album „Soiz“. Darin bleibt sie dem Dialekt als künstlerischem Statement treu und verbindet kantigen Sound, Selbstironie und avantgardistischen Wagemut zu einem kompromisslosen Blick auf alpenländische Tradition.