Demokratie leben
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An einem verschneiten Samstagabend im November lud die WUK KinderKultur zur letzten Ausgabe der „Demokratie am Tisch“-Reihe in einem der eleganten Museumsräume des Gebäudes ein. In ansprechendem Ambiente fand ein bemerkenswerter Workshop statt, der den Fokus auf zentrale Themen wie Kommunikation, Demokratie, Status und persönliche Entwicklung setzte. Unter der Leitung von Maria Lodjn und Nadja Brachvogel wurde das Veto-Prinzip® nach Maike Plath vorgestellt – ein Ansatz, in dem jede Stimme als wertvoll und wichtig erachtet wird.

Zu Beginn des Abends luden Brachvogel und Lodjn die Teilnehmer*innen zu einem Kennenlernspiel namens „Wer wie ich?“ ein. Ziel war es hier auf spielerische Weise Verbindungen herzustellen, persönliche Erfahrungen zu teilen und gemeinsame Werte sowie Bedürfnisse zu erkennen.
Ursprünglich in der Theaterpädagogik entstanden, ist das Veto-Prinzip® ein Konzept zur Stärkung der eigenen Führungsmöglichkeiten. Dabei geht es weniger um Macht, sondern vielmehr um die Förderung von Vertrauen, Integrität und Verantwortungsbewusstsein. Die Fähigkeit, „Nein“ sagen zu können, dient dem Schutz und der Bewahrung dieser Werte.
„Das Veto-Prinzip® basiert auf den Grundbedürfnissen eines jeden Menschen“, erklärte Brachvogel und betonte, wie demokratische Werte mit emotionalen Kompetenzen verbunden sind. Bedürfnisse wie Bindung, Autonomie, Sicherheit, Selbstwert und Freude werden bewusst gemacht, um Konflikte, Wertesysteme und Machtgefälle besser zu verstehen und loslassen zu lernen. Es soll Räume schaffen, in denen Menschen ihre Meinung verantwortungsvoll und bewusst vertreten können – ohne Angst vor Ablehnung oder Konflikt.
„Demokratie braucht Demokrat*innen.“
Der Kern des Workshops lag in den interaktiven Übungen, die den Teilnehmer*innen ermöglichten, das Veto-Prinzip® praktisch zu erleben. Ausgestattet mit Karten, auf denen Aussagen wie „Bin voll dabei“ oder „Ich schau nur zu“ gedruckt waren, startete die Gruppe mit der Übung „Open Mic“. Während leise Musik im Hintergrund spielte, wurden zu der Frage „Was macht eine*n Demokrat*in aus?“ Beschreibungen in ein Mikrofon in der Mitte des Raums gesprochen. Dabei wurde deutlich: Zuhören, Unterstützung, sowie das Zulassen verschiedener Meinungen sind essenziell in einer lebendigen Demokratie. Das Werfen eines Balls innerhalb der Gruppe ohne ihn fallen zu lassen, verdeutlichte die Bedeutung gegenseitiger Wahrnehmung, Anerkennung und Verantwortlichkeit in einem gemeinsamen Zielprozess.

Ein weiteres zentrales Element war das „Mischpult“ – ein Spiel, das die Teilnehmer*innen in die Rolle von Führungskräften und Gefolgschaft schlüpfen ließ. Um Teilnehmer*innen eine Reflektion ihrer individuellen Führungsverantwortung zu ermöglichen, wurden zuvor verschiedene Führungsstile vorgestellt: Löwe, Kläffer, Erdmännchen und Schildkröte – die sich jeweils in ihrer Position von Höhe und Tiefe des inneren und äußeren Status unterscheiden. Mit Karten, die Impulse für Bewegung, Tempo und Haltung lieferten, wechselte die Gruppe zwischen den Rollen, um zu erleben, wie es ist, Verantwortung zu übernehmen, klare Anweisungen zu geben oder auch „Veto“ und „Klarheit“ zu rufen. Die sieben demokratischen Führungs-Joker – Veto, Tempo, Klarheit, Verantwortung, Störgefühl, Freispiel und Blick von außen – sollen helfen, in Situationen bewusst zu reagieren, Grenzen zu setzen und Konflikte offen anzusprechen. Das „Veto“ ist dabei das Herzstück: Es ist das Recht, eine Entscheidung abzulehnen, um die eigene Integrität zu wahren oder auf Missstände aufmerksam zu machen. Der bewusste Einsatz der Joker, das Wahrnehmen der eigenen Gefühle und das gegenseitige Verständnis soll demokratische Prinzipien fördern
Gespräch unter Freund*innen
Nach den spielerischen Übungen folgte eine Reflexionsphase: Das Gespräch unter Freund*innen. Dabei tauschten die Teilnehmer*innen ihre Erfahrungen aus. Lodjn stellte ihnen Fragen wie: „Hattest du das Bedürfnis, ins Veto zu gehen?” Dies führte zu tiefgehenden Gesprächen über das Erleben von Autorität und Mitbestimmung. Es zeigte sich deutlich: Konflikte, Widerstände und Unsicherheiten sind integraler Bestandteil des Lernprozesses, den das Veto-Prinzip® anstößt. Sie bieten die Chance, eigene Grenzen, Bedürfnisse und Verantwortlichkeiten besser kennenzulernen und einen Umgang mit Konflikten zu entwickeln.

Transformationsprozess
„Es funktioniert nicht von heute auf morgen, sondern erfordert einen kontinuierlichen Prozess“, resümierten Lodjn und Brachvogel. Das Veto-Prinzip soll ein Erfahrungsraum sein, in dem sich Menschen auf Augenhöhe begegnen, ihre innere Demokratie entdecken, Mut zur authentischen Kommunikation entwickeln und internalisierte autoritäre Prägungen überwinden können. Es ist nicht nur ein Ansatz zur Verbesserung der Kommunikation, sondern auch ein Weg zu persönlicher und gesellschaftlicher Transformation.
Der Workshop endete mit dem Bewusstsein, dass Raum für Konflikte und Herausforderungen geschaffen werden muss, um demokratische Werte und eine inklusive Kommunikation erfolgreich umzusetzen. Demokratie beginnt bei jeder*m Einzelnen. Das Veto-Prinzip® ist ein Werkzeug, das nicht nur im Theater oder in der Pädagogik, sondern auch im Alltag, in der Gesellschaft und in der Politik angewendet werden kann, es lädt dazu ein, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. In einer zunehmend vielfältigen Welt sind Menschen gefragt, die ihre innere Demokratie leben und einen respektvollen, authentischen Umgang mit ihren Mitmenschen pflegen. In diesem Workshop wurden diese Fähigkeiten spielerisch, erlebnisorientiert und sehr herzlich vermittelt
Text: Jasmin Behnawa (B.Sc.Psychologie) ist Autorin und Spoken Word Künstlerin. Mit einem intersektionalen Verständnis von Feminismus, setzt sie sich für Menschenrechte, gegen Diskriminierung und systemische Gewalt ein. Neben ihrer Arbeit als visuelle und darstellende Künstlerin, ist sie in psychosozialer Mädchen- und Jugendarbeit tätig, und hat berufliche Erfahrungen in Gewaltschutz und -prävention.




