Bitte kein Duschgel-Set.
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Weihnachten 2012. Ich werd's nie vergessen – meine Nichte, damals viereinhalb Jahre alt, bekam zu Weihnachten einen immensen Haufen an Geschenken. Gemeinsam mit ihr packten wir alle aus, machten Aaah und Oooh, heuchelten, von ihren Geschenken beeindruckt zu sein und vom fünfzehnten Kuscheltier, begannen, ihr „großes“ Bett und das Plastikgraffl namens Barbie-Haus zusammenzubauen. Keine zehn Minuten nach Ende des Auspackens saß sie in einem riesigen Berg Geschenkpapier und meinte ganz verloren: „Mir ist fad!“ So schnell war er bei der Viereinhalbjährigen vergangen, der Dopaminrausch aufgrund der neuen Besitztümer.
Weihnachten 2025. In den Auslagen der Mariahilfer Straße werden die Lichter in denselben Tönen wie jedes Jahr glänzen – Gold und Silber, Rot und Grün. Verkleidete Weihnachtsmänner werden „Ho Ho Ho“ rufend über die Straße gehen, rund um die Punschstände wird es picksüß riechen. Nur ich bin wirklich gespannt: Wird wieder so viel los sein?
Teure besinnliche Zeit
Nach dem Rekordjahr 2019 und dem pandemie- und energiekrisenbedingten Einbruch gaben Menschen in Österreich im vergangenen Jahr zu Weihnachten laut Handelsverband durchschnittlich 380 Euro aus. Ob sich das dieses Jahr ausgeht? Bei mir ganz sicher nicht, sorry, habe blöderweise Mietwohnung, Gasheizung und nebenbei noch ein Leben zu finanzieren. So gern ich würde und so lieb ich meine Verwandten und Freund*innen habe, 380 Euro wird’s nicht spielen. Die österreichische Wirtschaft schrumpft, die Inflation ist hoch, aber die Preise sind noch immer höher als viele Einkommen wachsen. Familien rechnen genauer, junge Menschen haben keine allzu rosigen Jobaussichten, und dieses Ding mit „Die Miete sollte maximal ein Drittel vom Einkommen betragen“ – haha, können vor Lachen.
Doch wofür gibt man denn eigentlich das ganze Geld zu Weihnachten aus? Um Menschen zum Lächeln zu bringen. Nicht nur, um ihnen Wünsche zu erfüllen, sondern auch, um die eigene Zuneigung durch Materielles zu signalisieren. Um ihnen genau diesen Dopamin-Kick zu geben, der bei meiner damals kleinen Nichte in Rekordzeit um war. Der Dopamin-Kick, dem wir alle nachlaufen. An einem Tag, an dem wir – sorry, ich bin nicht religiös – die Geburt eines Menschen feiern, der vor 2000 Jahren mal ganz leiwand drauf gewesen sein soll. Und um den es unglaublich viele „Hast schon gehört, was er jetzt wieder Tolles gemacht hat?“-Geschichten gibt. Gut, im nicht-religiösen Sinn verstehe ich es. Dass es mitten in der dunklen Jahreszeit ein Fest gibt, bei dem man bei vielen hellen Kerzenlichtern das Gemeinsame genießt. Aber warum muss das so materiell konnotiert sein?
Vom Dopamin-Kick zum erhöhten Cortisol-Level
Weihnachten für Erwachsene hat sich inzwischen total in sich pervertiert. Klar wollen wir schenken, das ist ja auch etwas sehr Schönes, und klar nutzen das Unternehmen, die viel an uns verkaufen wollen, aus. Doch inzwischen ist die ganze Adventzeit keine „besinnliche“ Zeit mehr, sondern die wohl stressigste Zeit des Jahres. Auf den üblichen Alltagsstress wird jetzt noch das Überlegen, wie man wem eine Freude machen kann, das Besorgen von Geschenken und das ganze karitative Saufen von picksüßem Punsch zu menschenrechtsverletzenden Preisen draufgelegt.
Auch das wissen die Unternehmen und packen uns gleich vorsorglich Geschenke ein: Duschgel-Sets mit Schleife, Kaffeehäferl mit Plüschtier drin, Keksbackmischungen, aufgeschichtet im Glas, Parfums (nie gibt es so viel Parfum-Werbung im Jahr wie in den Wochen vor Weihnachten, ist euch das schon mal aufgefallen? Parfum und Handyverträge. Jedes Jahr.).
Hand aufs Herz, wie oft habt ihr schon Dinge bekommen, bei denen ihr euch ein Lächeln und ein durch die Zähne gepresstes „Danke“ aufzwingen musstet und euch innerlich nur dachtet: „Jö, der nächste Staubfänger!“? Der Dopamin-Kick: Gar nicht mehr vorhanden? Ich verrat‘ euch jetzt ein Geheimnis: Nein, Liebe und Zuneigung drückt sich nicht zwingend im Wert eines Geschenks aus. Und lasst euch nicht stressen.
Kauf dich glücklich!
In einem Gespräch mit einer Freundin letztens kamen wir auch auf das Thema Schenken. Sie meinte, für sie ist Schenken auch ein Akt der Selbstfürsorge. Sie fühlt sich toll, wenn sie schenken kann, und hat obendrein auch gleich das berühmte Belohnungsgefühl, wenn sie etwas gekauft hat. In mir haben diese Aussagen lange nachgearbeitet. Hat Schenken also einfach nur den Selbstzweck, sich selbst den Dopaminkick durchs Kaufen zu verschaffen? Ist das nicht ein Zeichen für eine völlig paradoxe Konsumspirale?
Auf der einen Seite das wachsende Bewusstsein für Nachhaltigkeit, Klimakrise und soziale Verantwortung; auf der anderen Seite der antrainierte Reflex, sich gute Laune durch Kaufvorgänge zu schaffen. Es ist doch zum aus der Haut fahren. Könnten wir Weihnachten bitte wieder umbranden auf das, worum es gehen sollte? Schenken, anderen Gutes tun, ohne materielle Hintergründe?
Schenken mit Seele
Was, wenn wir Weihnachten wieder mehr als ein Fest des Bewahrens statt des Anhäufens verstehen? Statt jedes Jahr Neues zu kaufen, könnten wir Altes wieder herrichten, Dinge tauschen oder ihnen ein zweites Leben schenken. Ich liebe die Vorstellung, dass ein Geschenk nicht aus dem Laden, sondern aus den eigenen Händen kommt. Eine selbstgestrickte Mütze, eine Vase aus einer alten Weinflasche – das hat Seele. Upcycling klingt für viele nach Basteln mit schlechten Kleberesten, aber in Wahrheit steckt darin so viel Kreativität und Wertschätzung. Ein Geschenk ist dann gut, wenn es von Herzen kommt – und zwar egal, zu welcher Jahreszeit.
Recycling, Reparieren, Weiterverwenden – das sind im Grunde die ehrlichsten Formen von Wertschätzung. Sie sagen: „Ich habe mir Zeit genommen, nicht nur Geld.“ Und sind wir ehrlich, es fühlt sich einfach besser an, etwas Sinnvolles zu schenken, als sich durch Einkaufszentren zu quälen und … ich sag nur Duschgel-Set und lustiges Kaffeehäferl. Vielleicht wäre das ja ein schöner Trend: ein Weihnachten, das nicht mehr glänzt, sondern strahlt – aus sich selbst heraus, weil weniger Müll entsteht und mehr Verbindung bleibt.
PS: Und wer das alles nicht will – schenkt Zeit. Meine Familie und ich schenken uns seit Jahren nur noch Abende miteinander. Gemeinsam ins Kabarett, Kochabende, Spieleabende. Hauptsache, sich bewusst Zeit füreinander nehmen.
PS2: Und Bücher. Bücher darf man immer kaufen. Aber im stationären Handel bitte. Beim inhaber*innengeführten Buchladen. Danke!
Text: Nunu Kaller ist eine österreichische Autorin und Aktivistin für nachhaltigen Konsum. Bekannt wurde sie durch ihre Kauf-nix-Challenge und ihre Bücher über Konsumkritik. Sie setzt sich für faire Mode und Transparenz in der Textilindustrie ein. Ihre Motivation entspringt dem Wunsch, Umweltbelastung und Ausbeutung zu verringern. Mit Humor und Ehrlichkeit inspiriert sie Menschen zu bewussterem Konsum.



