"Raumeinnahme ist radikale Praxis"

Kerosin95 (c) Lena Kuzmich

"Raumeinnahme ist radikale Praxis"

Kerosin95 im Interview

Schluss mit höflich: Kerosin95 kommt am 22.5.2022 ins WUK

Das neue Programm von Kerosin95 liefert New School Rap, Old School Hip Hop, Kuschel-Pop und Feature-Gäst_innen. Kerosin widmet diese Tour allen trans* Personen und lädt zur kollektiven Raumeinnahme ein. Das Motto: Schluss mit höflich, raus die Ellbogen und ab in die erste Reihe. Mit neuen Tracks und einem großen Upgrade in der Live-Besetzung geht es auch das erste Mal in Deutschland auf Tour.

Wir freuen uns schon auf dein Konzert am 22. Mai im WUK. Wie war es für dich eigentlich, die letzten zwei Jahre fast keine Konzerte spielen zu können?

Kerosin95: In diesem Beruf lebt es sich als selbstständige Person grundsätzlich prekär. Ich habe das Gefühl, die Pandemie hat diese Situation für mich noch um das Zehnfache prekärer gemacht. Es fehlt das Einkommen, das über Konzerte hereinkommt. Dieses Einkommen setzt sich ja nicht nur aus Konzertgagen zusammen, obwohl da natürlich viel Geld liegt. Tantiemen, die über die Verwertungsgesellschaften abgerechnet werden, hängen mit dem Konzertespielen zusammen.

Es war für mich nicht einfach, kreativ zu sein und die ganze Zeit zu arbeiten, auch wenn ich viel veröffentlicht habe. Es war schwierig, Songs zu releasen und zu arbeiten und trotzdem nichts zu verdienen, weil einfach die Konzerte fehlen. Zwischen den Lockdowns ein bisschen spielen zu können war jetzt auch nicht das Gelbe vom Ei. Bis ein längerfristiges stabiles Einkommen entstehen kann oder die prekäre Situation sich auflöst, wird es noch dauern. Es ist immer noch zach.

Und mit welchen Gefühlen blickst du auf die nächste Zeit, jetzt, wo wieder Konzerte anstehen?

Ich freu mich schon sehr drauf. Ich bin auf jeden Fall zuversichtlich, dass die Konzerte stattfinden können. In den letzten Jahren habe ich mich natürlich immer wieder mal auf Konzerte gefreut, die dann aber alle abgesagt oder verschoben werden mussten. Dieses Mal habe ich ein gutes Gefühl. Es wird sehr aufregend, wieder in den Bühnenjob reinzukommen. Es stehen viele Sachen an mit Kerosin95, eine Tour, viele Sommerkonzerte, viele Festivals. Ich bin auf jeden Fall aufgeregt, hab richtig Bock und bin gespannt, wie das so funktioniert nach einer langen Pause.

Deine WUK-Show macht speziell, dass du mit einer neuen Band unterwegs sein wirst. Kannst du dazu schon etwas erzählen?

Das sind Live-Musiker_innen aus verschiedensten Projekten, die in dieser Besetzung zusammenkommen. Wir spielen aber nur drei ganz spezielle Kerosin-Shows in dieser viel größeren Besetzung, nämlich in Wien, Graz und Salzburg. Diese Entscheidung habe ich getroffen, um mich musikalisch live weiterentwickeln zu können. Ich bin sehr gespannt.

Du nennst die Tour "Trans Agenda Tour" und du widmest sie allen trans* Personen. Warum braucht es diese kollektive Raumeinnahme und was hoffst du damit zu erreichen?

Diese Raumeinnahme braucht es, weil unsere Gesellschaft trans* Personen und queere Personen unterdrückt und diskriminiert. Raumeinnahe ist einer von vielen Schritten, um irgendwie einmal mit Sichtbarkeit zu starten. Raumeinnahme ist radikale Praxis und für mich eine der wenigen Möglichkeiten, als trans* Person Wind zu machen in einer österreichischen Musiklandschaft, die traurig, peinlich und erbärmlich ist. Was ich tun kann, ist meine Ellbogen auszufahren und mich durchzuboxen durch viele Bühnen und durch viele Räume, die mir nicht gegeben werden, die mich nicht dahaben wollen. Zum Beispiel deswegen. Aber sie heißt einfach "Trans Agenda Tour", weil es ein geiler Titel ist. Und weil trans* Personen, trans* Personen of colour ganz vorne stehen sollten, regieren sollten und die Bühne kriegen sollten. Aber sie tun es nicht, und deswegen braucht es nicht nur eine "Trans Agenda Tour", sondern hunderte. 

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Es gibt viele Gründe für Diversität. Einer davon ist, dass Kreativität davon lebt, unterschiedliche Perspektiven aufzuzeigen. Was haben für dich Kreativität und Diversität miteinander zu tun? Oder konkreter gefragt: Warum finden deine Fans deine Musik spannender als den xten Singer/Songwriter, der von seiner heteronormativen Liebe erzählt?

Ich habe nicht das Gefühl, dass sich für mich viel mehr Leute interessieren als für den tausendsten Singer-Songwriter. Das ist vielleicht ein Wunschgedanke, aber in Wirklichkeit sind bei den Amadeus Austrian Music Awards nur lauter weiße, hetero, fade Cis-Typen. Bei diesen Geschichten schlafe ich ein. Aber sie haben Erfolg. Sie bekommen Awards, Geld, Bühnen, Gagen und Headline-Plätze. Die Realität schaut nicht so aus, dass sich Leute für mich so sehr interessieren, sondern Leute interessieren sich für Bilderbuch. Weil Bilderbuch eine liberale Band ist, die sich kaum politisch positioniert – ich nehme mal an, weil es leicht zu verdauen ist.

Ich glaube, die Leute, die sich für Kerosin interessieren, sind vielleicht selbst queer, sind vielleicht FLINTA-Personen und Leute, die sich denken: „He cool, endlich mal eine andere Perspektive, endlich mal eine Person, die Cis-Männlichkeit auf der Bühne in Grund und Boden verarscht, das macht Spaß.“ Es gibt ja viele queer-feministische Rapper_innen im deutschsprachigen Raum. Das ist aber eine Nische. Ganz grundsätzlich: Ich bekomme aufgrund meiner Identität und meiner Auseinandersetzung und politischen Positionierung nicht die Gagen oder die Gigs, die andere Leute bekommen. Aber ich werde den Job trotzdem so machen, egal ob es Leuten gefällt oder nicht.

Findest du es grundsätzlich wichtig, dass sich Personen politisch positionieren, wenn sie eine gewisse Öffentlichkeit haben?

Ich finde, besonders Menschen mit sehr viel Privilegien, die in der Kunst arbeiten, sollten sich umso mehr positionieren. Wenn sie das gar nicht tun, finde ich ihre Kunst wertlos. Das ist mein Standpunkt. Zum Beispiel Kunst von weißen, hetero Cis-Männern, die alle Privilegien haben und alles machen können, was sie wollen: Wenn diese Kunst nie irgendetwas aufgreift, dann hat die Kunst für mich keinen Anspruch. Kunst ist politisch. Das Private ist politisch. Die Leute, die es am gemütlichsten haben, machen es sich weiterhin gemütlich, und so sollte es nicht sein. 

Zum Abschluss noch einmal zurück zu deiner Musik: Welche Themen greifst du in deiner neuen EP auf? Was erwartet uns? 

Jeder Song ist, finde ich, eine Single für sich. Es zieht sich viel Humor durch die EP, sie ist sehr spielerisch gestaltet. Der Titeltrack heißt wie die EP "Trans Agenda Dynastie" und der Titel spricht für sich selbst. Den werde ich auch nicht erklären. Das müssen sich Cis-Personen selbst ausdenken, was ich damit meine. Es gibt einen schönen Love-Song, es gibt einen komplett argen Clubtrack. Ich würde sagen, es ist für alle ein bisschen was dabei.

Interview: Astrid Exner

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