Ökofeministische Praktiken in Kunst und Aktivismus
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« At a time when several planetary boundaries of the Earth system have already been surpassed, creating feedback loops of intensification, the essential role of the arts must be to speak up and make space for collective action, care, and imagination. »
(Hiuwai Chu, Meagan Down, Nkule Mabaso, Pablo Martínez & Corina Oprea, in CLIMATE: Our Right to Breath, 2022:11)
Ökofeminismus lässt sich als Verbindung von Kämpfen um ökologische Gerechtigkeit, queerfeministische Anliegen und soziale Bewegungen verstehen. Er macht sichtbar, wie Umweltzerstörung, patriarchale Gewalt, Rassismus, Klassismus und koloniale Kontinuitäten ineinandergreifen – und wie diese Machtverhältnisse mit kapitalistischer Ausbeutung und Krieg verknüpft sind. Ökofeministische Perspektiven stellen dem Sorge, Solidarität und Widerstand entgegen. Sie greifen lokale Erinnerungen ebenso auf wie internationale Bewegungen und eröffnen Räume, in denen politisches Handeln, Aktivismus und künstlerische Praxis miteinander verwoben werden. Dabei zeigt sich, dass ökofeministische Ansätze weit über jene hinausreichen, die sich selbst explizit so benennen. (vgl. Hansen, Gerner 2024:39)
Historische Kämpfe und ökofeministische Wegbereiter*innen
Im lokalen, österreichischen Gedächtnis geblieben sind ökofeministische Bewegungen vor allem im Kontext von Anti[1]Atom-Bewegungen seit den 1970er-Jahren (u. a. Zwentendorf, Tschernobyl, Temelin) und in naher Vergangenheit Aktionen von Klimaaktivist*innen, durch Besetzungen und daraus folgenden gewaltvollen Räumungen von Protest-Camps (u. a. Lobau, Fischa-Au). Wer jedoch zu Protesten gehen kann und will bzw. wer nicht, ist nicht nur vom eigenen politischen Verständnis abhängig, sondern spiegelt auch die eigene Bereitschaft wider, sich Repressionen und Gewalt auszusetzen.
Die ab den 1970er-Jahren aktive GreenBelt-Bewegung in Kenia um die Aktivistin Wangari Muta Maathai begann kurz nach der Unabhängigkeit Kenias. Durch koloniale Ausbeutung gerodete und von Erosion betroffene Wälder wurden wiederaufgeforstet, Aktivist*innen haben 55 Millionen Bäume gepflanzt. (vgl. Hansen, Gerner 2024:52) Die indische Wissenschaftlerin und Aktivistin Vandana Shiva, eine der Vorreiter*innen des Ökofeminismus, kämpft seit Jahrzehnten gemeinsam mit Initiativen in verschiedenen Regionen Indiens gegen Agrarindustrie, die Privatisierung von gemeinschaftlich genutzten Flächen, Wäldern und Saatgut, und für Biodiversität, Umweltschutz und Frauenrechte.
Any war is an assault on …
Bewohner*innen der Erde, Menschen, Tiere, Pflanzen, Fungi/Mycobiota, leiden stark unter zerstörerischen Allmachtsansprüchen weniger reicher Männer und ihrer Verbündeten, die für ihren Machterhalt die Gefährdung des Planeten nicht nur akzeptieren, sondern aktiv forcieren. In Anbetracht der ernsten planetarischen Situation müssen radikale Gegenentwürfe zu jetzigen Ideen vom Leben auf der Erde her, nicht nur vereinzelte politische Maßnahmen. Es ist Perspektiven- und Privilegien-Sache, ob und wie viel schlimmer die Situation für einzelne Regionen und Gruppen geworden ist.
Die Soziologin Svitlana Matviyenko schreibt: „Any war is an assault on the entire ecosystem in which all forms of life and non-life interact“. (Matviyenko 2022:57) An der zivilen Bevölkerung begangene Kriegsverbrechen werden im Gazastreifen, in der Ukraine oder im Sudan fortlaufend von Journalist*innen, NGOs und Zivilist*innen dokumentiert und veröffentlicht. Es findet ein Genozid an der palästinensischen Bevölkerung statt – ihre Vertreibung, ihr Aushungern sowie die Zerstö[1]rung von Land und Boden – der auch als Ökozid benannt werden muss. Matviyenko beschreibt weiter die Umfänglich[1]keit, wie Kriege und Kriegshandlungen sich auf urbane und ländliche Ökosysteme, Landwirtschaft auf den Feldern, an den Küsten und Gewässern sowie auf Naturschutzgebiete auswirken. (ebd.) Die UN-Food and Agriculture Organization hat in einer Studie (28.7.2025) erhoben, dass 86,1% der landwirtschaftlich genutzten Fläche des Gazastreifens „damaged“ sind – und gleichzeitig nur 1,5% der unbeschädigten Anbaufläche zugänglich sind. (vgl. Food and Agriculture Organization of the U.N. 2025)
Imagination und solidarisches Handeln
Kunst und Aktivismus eröffnen uns Möglichkeitsräume, der Zerstörung entgegenzutreten und anderes zu imaginieren: Denken wir an die Fotografien des aus Bolivien stammenden Künstlers River Claure, die sich beispielsweise der kolonialen und kapitalistischen Ausbeutung der lokalen Bevölkerung durch den Rohstoffabbau in Minen in Bolivien widmen; oder an die Texte der indischen Schriftstellerin Sumana Roy, die in ihrem Buch „How I Became a Tree“ (2017) das Verhältnis von Menschen zur Zeit auf den Kopf stellt, indem sie in „tree time“ lebt, um menschlicher Gewalt, Zerstörung und Egoismus zu entkommen; oder an das eco-sexuelle Kunstduo Annie Sprinkle und Beth Stephens, das unseren Blick auf Beziehung mit der Natur auf den Kopf gestellt hat.
Im Rahmen eines Symposiums widmen wir uns ökofeministischen Projekten und Akteur*innen, die Kunst und Aktivismus, ihre Arbeitspraxen und persönlichen Erfahrungen mit uns teilen werden. Angesichts der Lage der Welt brauchen wir mehr solidarischen Dialog und kritischen Austausch, der uns anregt, zusammenzukommen, uns zu organisieren und uns neue Geschichten und Handlungsmöglichkeiten für eine gerechtere Zukunft für alle zu imaginieren. In einer Zeit, in der es sowohl im Kunst- und Kulturbereich als auch im aktivistischen Feld sehr schwierig erscheint, gemeinsam Räume zu teilen, plädieren wir für Offenheit, Ambiguitätstoleranz und Empathie. In diesem Sinne freuen wir uns auf dieses Symposium und auf alle, die daran teilnehmen werden.
Chu, Down, Mabaso, Martínez & Oprea. CLIMATE: Our Right to Breath (2022) Lina Hansen, Nadine Gerner. Ökofeminismus: Zwischen Theorie und Praxis (2024) Food and Agriculture Organization of the U.N. Land available for cultivation in the Gaza Strip as of 28 July 2025. https:// openknowledge.fao.org/ items/3a966c1f-c31b-4550-90bbeca8efbe9c1f Svitlana Matviyenko. Pollution as a Weapon of War. In: CLIMATE: Our Right to Breath.
Text: Natalie Assmann, Sophie Lingg und Mir Raggam-Alji.
DAY 1 - Fr 3.10. | DAY 2 - Sa 4.10. | DAY 3 - So 5.10. |
A botanical walk on Geführter Walk | with
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Day 1 | Day 2 | Day 3 |
Über die Autor*innen
Natalie Assmann (she/her) ist Künstlerin, Regisseurin und Kuratorin. Ihre Praxis bewegt sich im Feld der interdisziplinären Performance und versteht sich als Forschung nach posthumanistischen Konzepten des Zusammenlebens und widerständigen, queer-feministischen sowie antifaschistischen Ästhetiken in der Kunstproduktion;
Assmann´s Arbeiten und Kollaborationen wurden u.a. am Tanzquartier Wien, brut Wien, Schauspiel Köln, Volksbühne Berlin und beim Impulse Theater Festival NRW gezeigt. 2019/20 war sie Co-Leiterin der WIENWOCHE, zuletzt arbeitete sie intensiv am Wiener Kongress “The Art & Abuse” der Wiener Festwochen. 2022 erhielt sie das Arbeitsstipendium der Stadt Wien; Veröffentlichungen und Features erschienen u.a. im Missy Magazin, Grau Magazin und in dem feministischen Magazin an.schläge.
Aktuell entwickelt Assmann gemeinsam mit Vertrauten und Mitstreiter:innen ein Projekt über die Donau (Premiere: April 2026, WUK performing arts). Sie lebt mit ihrer Partnerin und ihrer Hündin zwischen Wien und Berlin.
Sophie Lingg (sie) forscht, experimentiert und organisiert zu Digitalität, digitalen Medien und deren Nutzung für queer-feministisches, künstlerisches Arbeiten und Kunstvermittlung sowie zu Ökofeminismus, öffentlicher Raum und dessen Nutzung. Sie schreibt ihre Dissertation über künstlerische und künstlerisch-aktivistische Arbeit in sozialen Medien (betreut von Elke Krasny). Sie ist Mitherausgeberin des FKW-Journals Feminist Infrastructural Critique. Life-affirming Practices Against Capital (Nr. 74; 2024) sowie Radicalizing Care: Feminist and Queer Activism in Curating (London, Sternberg Press, 2021). Sophie war Teil des Erasmus+-Forschungsprojekts Digital Didactics in Art Education, didae.eu.
Mir Raggam-Alji ist Künstler*in, Filmemacher*in und Kunstvermittler*in, deren Arbeiten sich aus einer queeren, postmigrantischen Perspektive mit antirassistischen und queerfeministische Fragestellungen auseinandersetzen. In der künstlerischen, forschenden und vermittelnden Praxis beschäftigt sich Raggam-Alji mit der kritischen Sichtbarmachung und Analyse tiefgreifender hegemonialer, patriarchaler, weißer Machtverhältnisse und den damit verbundenen Mechanismen gesellschaftlicher Marginalisierung und Ausgrenzung. Diese Reflexion prägen Raggam-Aljis Arbeit und spiegeln deren konsequente Haltung gegen strukturelle Ungleichheit wider.
Raggam-Aljis Arbeiten wurden mit Preisen und Stipendien, wie dem Volkswagen Group Fellowship 2024, dem lime_lab Preis für transdisziplinäres Hörspiel und dem Preis der Akademie der bildenden Künste Wien ausgezeichnet.
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