Eine kurdische Kulturfabrik nach WUK-Vorbild

Eine kurdische Kulturfabrik nach WUK-Vorbild

In der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak wird seit einigen Jahren ein Kulturzentrum aufgebaut, das Platz für Kreativität schafft und dadurch die Region belebt.

In der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak wird seit einigen Jahren ein Kulturzentrum aufgebaut, das Platz für Kreativität schafft und dadurch die Region belebt. Der ehemalige Wiener Khabat Marouf ist der Motor hinter dem Projekt "Karge Kultur" in Sulaimaniyya. Nachdem er 1987 nach Wien geflüchtet war, engagierte er sich im WUK als Obmann des Kurdischen Zentrums. Jetzt adaptiert er viele Ideen aus seiner Zeit in Österreich für seine Heimat. Margit Wolfsberger, WUK-Vereinsobfrau und Sendungsgestalterin beim WUK Radio, spricht mit Khabat Marouf über seine Person, seine Zeit im WUK, die Rückkehr in den Irak und die Kulturfabrik

Margit Wolfsberger: Wir haben uns 1999 schon einmal zum Interview getroffen. Damals warst du Obmann des Kurdischen Zentrums im WUK und hast in Wien gelebt. Wie bist du nach Wien gekommen und warum?

Khabat Marouf: Ich bin 1975 vor dem Regime Saddam Husseins geflüchtet und 1987 in Wien angekommen. Während und nach dem Studium habe ich das Dionysos Nosh eröffnet, ein Restaurant im 8. Bezirk, das von vielen Intellektuellen, Musiker_innen und Politiker_innen frequentiert wurde. So ist es dazu gekommen, dass ich 1998 für die Grünen im Bezirk kandidiert habe. Das war das erste Mal, dass ein Migrant Bezirksrat wurde. Durch das Kurdische Zentrum war ich vom ersten Moment an im WUK engagiert. Wir waren ja unter den ersten Gruppen, die das WUK aufgebaut haben. Nach meiner Rückkehr nach Kurdistan habe ich mit meinem Freund Daro Ola die Kulturfabrik in Sulaimaniyya gegründet. Die Idee war, die Fabrik nach dem Vorbild des WUK oder des Museumsquartiers zu gestalten. Das ist uns schon teilweise gelungen, aber wir arbeiten auch noch immer hart daran.

Bei unserem ersten Interview hast du eine Rückkehr in den Irak ausgeschlossen, da ja noch Saddam Hussein an der Macht war. Warum hast du dich dann doch entschieden, in den Irak zu gehen?

Es ist meine Heimat. Ich will hier etwas bewirken, damit auch die Jugend etwas davon hat, was wir gesehen haben. Wir haben irrsinnig profitiert von dem Engagement im Wiener Kulturbereich. Das fand ich viel wichtiger als Geschäfte. Das will ich weitergeben. Dass wir versuchen, basisdemokratisch dieses Projekt einzuführen ist nicht einfach, dieses Konzept ist hier neu.

Wie kam es zu diesem Ort? Und wie bist du überhaupt auf die Idee für die Kulturfabrik gekommen?

Als ich jung war, war ich hier in Kurdistan im Freiheitskampf engagiert. Ich habe sehr viele alte Freunde, die jetzt in Kurdistan an der Macht sind, und kann meinen Einfluss für etwas Gutes nutzen. Das war die Idee für die Kulturfabrik mit meinem Freund „Daro“ Dara Ola. Sulaimaniyya ist sehr aktiv und tolerant im Vergleich zu vielen anderen Städten im Irak. Hier sieht man alles, viele verschiedene Kulturen, Religionen und Gruppen, Frauen verschleiert oder nicht, offene Bars. Es ist eine offene Stadt mit sehr vielen Intellektuellen.

Auch sehr viele reiche Leute sind hier, die dafür kämpfen, jedes Stück Grund zu verbauen. Wir haben es aber geschafft, dieses Grundstück mit ungefähr 85.000 m² für Kultur zu reservieren. Die Stadt soll sich nicht nur auf Öl-Einnahmen stützen, sondern wir wollen Kreativität fördern, weil sehr viele kreative Jugendliche da sind, die in den Bereichen Technik, Filmindustrie und Grafikdesign arbeiten. Das Kulturzentrum schafft interdisziplinär Platz für all diese Gruppen.

Khabat Marouf (links) mit den Chalabi Architekten aus Wien, die die Kulturfabrik mitentwickeln

Wie hast du es geschafft, diesen Raum für Kultur zu bekommen?

Wir hatten Unterstützung von der Frau des ehemaligen Präsidenten Talabani (Staatspräsident der Republik Irak von 2005 bis 2014, Anm.), die im Kulturbereich sehr engagiert war und mit meiner Ex-Frau Hatice Yasar befreundet war. Seit zehn Jahren widmen wir die Fabrik für den Kulturbereich um. Während der englischen Kolonialzeit war es eine der größten Fabriken im Irak, eine Tabakfabrik mit einem Drei-Schicht-Betrieb. Es haben ungefähr 2.000 Menschen hier gearbeitet; das hatte einen enormen Einfluss auf die Stadt. Darunter waren übrigens viele Frauen, die zum ersten Mal zu ihrem eigenen Einkommen kamen. Jetzt soll die Fabrik auf eine andere Weise die Stadt beleben. Saddam Hussein hat dem Land sehr geschadet. Die meisten Freigeister sind geflüchtet. Nach so einer Wende braucht es Zeit, das Land wieder zu beleben. Langsam wächst eine neue Generation von Jugendlichen heran, die denken, reden und diskutieren. Kreativität hat mit Freiheit zu tun. Es gibt noch immer viele Krisen, Kämpfe und Korruption. Aber trotzdem: Es entsteht eine Atmosphäre, die Kreativität und Denken fördert. Das gibt mir Hoffnung, dass unsere Arbeit einen Beitrag leisten kann.

Welchen Einfluss hatte das WUK auf eure Organisationsstruktur?

Aus dem WUK habe ich einen sehr guten Rat bekommen: Es ist wichtig, dass niemand Räume als Eigentum betrachten soll. Wir halten außerdem alle paar Monate ein Plenum ab, zu dem sich alle treffen. Zusammenarbeit, gemeinsame Projekte und gemeinsam feiern ist wichtig. Ich finde es wichtig, die Ideen, die ich in Europa gesammelt habe, in der eigenen Heimat weiterzugeben.

Welche Bereiche und Betätigungsfelder gibt es in der Kulturfabrik?

Wir haben sehr viele Gruppen im IT-Bereich, in der App-Entwicklung und für Virtual Reality, im Keramikbereich, Kunst und Kultur, es werden auch Think Tanks entwickelt. Es gibt auch einen Sportbereich, wir haben eine riesige 184m²-Kletterwand gebaut. In Kurdistan gibt es nämlich viele Berge, die sich zum Klettern eignen. Wenn Klettergruppen entstehen, kann touristisch etwas daraus gemacht werden. Außerdem führt Daro eine sehr gute Galerie als Kurator. Diesen Job hat es im Irak zuvor noch nicht gegeben. Es bedeutet viel für einen Künstler, gezeigt zu werden.

Am Anfang hast du vom WUK Tipps bekommen für die Kulturfabrik. Kannst du uns jetzt umgekehrt von deinen Erfahrungen mit der Kulturfabrik berichten? Was könnten wir davon fürs WUK mitnehmen?

Vielleicht liegt es an der Mentalität der Menschen oder an der Politik, aber ich vermisse die Zusammenarbeit der Gruppen. Sie sollten gemeinsame Projekte entwickeln. Hier helfen die Gruppen einander. Und was ich mir wünsche: Dass wir eine Zusammenarbeit zwischen der Kulturfabrik in Sulaimaniyya und dem WUK auf die Beine stellen.

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