Eine kurze Geschichte der Wagner-Feigl-Forschung/Festspiele.

(c) Ulli Koch

Eine kurze Geschichte der Wagner-Feigl-Forschung/Festspiele.

Die WAGNER-FEIGL-FORSCHUNG/FESTSPIELE sind Florian Feigl (Berlin) und Otmar Wagner (Wien), ihre Kollaboration existiert bereits seit über 20 Jahren - daraus sind zahlreiche Aktionen, Performances, Installationen, Theaterarbeiten, Publikationen und nicht realisierte Konzepte entstanden. Für die Broschüre von WUK performing arts haben sie diesen Text zur Verfügung gestellt.

Die Wege von Wagner und Feigl kreuzen sich erstmals Anfang der 90er Jahre auf der Robert-Wilson-Straße[1] des Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft in der deutschen Provinzstadt Gießen, einem Flur zwischen Probebühnen, Seminarräumen, Selbstbewusstsein, Sekretariat und Studententräumen. Das muss 1992 gewesen sein: Wagner war gerade von einem aufregenden 1-jährigen Intermezzo in Amsterdam[2] zurückgekehrt, und Feigl fing grad Feuer, experimentierte mit seinem Körper und mit seltsamen Gesinnungsgenossen[3].

Welche Synergien zu ersten gemeinsamen Begegnungen auf künstlerischer Ebene geführt haben, ist nicht mehr rekonstruierbar. Tatsache ist, dass Wagner und Feigl Ende 1994 als Performer in 'Gedichte einer Stadt', einem Projekt von Nils Tabert[4] nach Texten von Kathy Acker im Theater am Turm, Frankfurt/Main in Erscheinung treten. Tatsache ist auch, dass Wagner und Feigl während dieser Zeit, statt ihre Texte zu lernen, in einer komfortablen Souterrainwohnung in Frankfurt die Tage und Nächte Dart spielend verbringen und dass dies in der Performance-Szene weitgehend auf Unverständnis stößt. Viele Jahre später äußert sich Wagner dazu in einem Interview[5]:

"Das mit dem Dart war ja kein Gag. Wir wollten uns fit machen als Performer. Klar, auf der einen Seite waren da die Kathy Acker-Texte, die sind ja schon wichtig, also so ein literarischer Bach, meinetwegen auch Beethoven, aber auf der anderen Seite bin ja auch ich da, mit meinem Körper und meinem Kopf, und das darf ja nicht abgerichtet werden, sondern das muss trainiert werden, die Haltung, die Konzentration, die Fokussierung. Dart spielen macht überhaupt keinen Spaß, weil es so unendlich mühsam ist, aber genau deshalb ist es ja so wichtig. Nicht nur für die Performancekunst, sondern für jedwede Form der darstellenden Kunst, auch für Schauspieler_innen, für Tänzer_innen, vor allem für den Balletttanz. Die jungen Ballettänzer_innen sollten ja nicht anfangen zu rauchen, damit sie schlank bleiben, sondern Dars spielen, damit sie fit werden[6]."

Auf der Basis mehrfach gegenseitig geäußerter Sympathien lädt Otmar Wagner Florian Feigl 1996 zu einer gemeinsamen Performance mit dem Titel 'wet'n wild' ein. Über Inhalt und Verlauf der Performance ist nichts bekannt. Der Titel wurde, so die Performer, der Bezeichnung eines grellroten Niedrigpreis-Lippenstiftes der deutschen Drogeriekette Rossmann, der in der Performance exzessiv verwendet wurde, entlehnt. Nach Aussage von Wagner und Feigl wäre die Performance vermutlich vollkommen anders verlaufen, hätte man sich damals für ein Produkt der dm-Drogeriekette entschieden. Das wäre zwar die ideologisch bessere Entscheidung gewesen, man habe aber damals noch nicht wissen können, dass der dm-Eigentümer Götz Werner 10 Jahre später begann, sich für das Bedingungslose Grundeinkommen einzusetzen.

1998/99 zeigen Wagner-Feigl die richtungsweisende Performance 'Warum wir so gute Performances machen', flankiert durch eine Publikation in der Zeitschrift 'ballett international / tanz aktuell'[7], in der sie unter dem Titel 'Hi(t The)Story' Auszüge aus ihrem Performancearchiv 'Die Blaue Lade' vorstellen. Begleitend dazu schreibt Feigl an die Redaktion des Magazins[8]:

"Wagner und Feigl begleiten eine Geschichte wie sie geschehen könnte, geschehen sollte, geschehen ist. Sie haben alles gesehen, waren überall dabei. Und wenn der einzige Ratgeber ein Kochbuch ist? Immer mitten drin und neben dran: Es ist der Auf- und Untergang diverser Hochkulturen, den wir begleiten. Wrong Time - Wrong Place ist keine gültige Ausrede.

Anders gesagt heißt es, darauf zu achten, dass die Heinzelmännchen geschmackvoll eingesetzt werden. Wann es sich dann um Ananasscheiben handelt oder um das Richtige, soll entscheiden, wer dazu Lust hat - wenig ist es jedenfalls nicht...

Eigentlich wollten wir einen Roman schreiben. Dann dachten wir an einen Comic. Schließlich wurde es ein Plattencover. Und zwar die Rückseite. Wir haben so viele Credits zu verteilen, dass es am Ende unwichtig scheint, nach der eigenen Arbeit zu fragen.

Meine Güte, die Bäume sind grün oder waren es. Jedenfalls werden wir sie so erinnern. Die Wirklichkeit ist kaum die Party, auf der alle abhängen. Und so lange der Schlüssel zur Keksdose verlegt ist, bleiben für den ganzen Haufen Schnorrer nur ein paar vertrocknete Cracker. Aber die sollte man genau ansehen, bevor wir sie teilen und essen. Korrosion ersetzt seit Jahren die Konsekration und das ist gut so. Also willkommen auf der Party called Schrottplatz: Gutgebaute Gralshüter in verschwitzten Unterhemden nehmen mit dem Charme schleimiger Gebrauchtwagenhändler gerne jeden mit auf eine Reise in der Presse. Blutiger Hauch versprüht so viel Witz, dass man sich kaum halten kann vor Lachen. Dann kommen die Lichtwesen aus dem All und machen aus den Resten ein weiteres kryptisches Muster von den Ausmaßen einer Kleinstadt im Spessart."

Mit den darauffolgenden Arbeiten erweitern Wagner-Feigl ihr Darstellungsspektrum: Bei 'Quo Vadis?' (2001)[9] handelt es sich um eine Mischung aus Old-School-Performance, Body Art und Jackass-Ästhetik, mit 'Astroport Teglby - Intervention E6' (2002)[10] entsteht eine installative Arbeit, die in die Nähe von Land-Art und Monumentalskulptur rückt.

2003 nehmen Wagner und Feigl als 'Pig Boys' an einem Wrestling-Wettkampf teil und stecken dort derart fürchterliche Niederlagen ein, dass sie erst 2005 - die Wunden sind verheilt - den monumentalen Zyklus 'Ich bin vergänglich 1-3' verwirklichen können. Er umfasstdiverse Formate wie Lecture/Demonstration ('Ich habe fertig'), Installation und Ausstellung ('Themenpark Erdloch'), Performance ('Erdlochology'). Mit 'Through the Eyes of Angels' (2006) gelingt ihnen ein traumhaft-traumatisches Objektspiel, und mit 'Was ist Theater?' (2007) eine pädagogisch wertvolle Theaterperformance.[11]

Vor allem aber entwickelte die Wagner-Feigl-Forschung/Festspiele über all die Jahre hinweg die 'Enzyklopädie der Performancekunst', die als Lecture-Performance und in Publikationen die größte Sichtbarkeit unter all ihren Arbeiten erhalten hat. 2002 an der FU Berlin in einer ersten Präsentation als Entwurf vorgelegt, wurde die Enzyklopädie in den Folgejahren bis 2009 stetig weiterentwickelt, um Monographien u.a. zum Automobil in der Performancekunst erweitert und der jeweilige Forschungsstand auf verschiedenen wissenschaftlichen Konferenzen, in Theatern und auf Festivals in Europa vorgestellt[12], in internationalen, wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht[13] und mit dem 1. Preis des Wettbewerbs "Performing Science" am Zentrum für Medien und Interdisziplinarität der Universität Gießen (2007) ausgezeichnet.

2009 beschließen Wagner-Feigl, die gemeinsame künstlerische Arbeit vorübergehend ruhen zu lassen. Die Gründe dafür scheinen vielfältig: Verschiebungen in der Tektonik der Liebe, Zermürbtheit aufgrund der unverändert prekären Lebensbedingungen, scheinbar lukrativere, neuere, schönere Angebote von dritter Seite, you name it. Gerüchten zu Folge ist auch von unüberbrückbaren ästhetischen Differenzen, gegenseitigen Beschuldigungen, unverzeihlichen Beleidigungen und Gewalt die Rede. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Da in den folgenden Jahren zahlreiche prominente Einladungen zu theaterwissenschaftlichen Kongressen, Festivals und einer Tagung der Deutschen Dramaturgischen Gesellschaft konsequent ausgeschlagen wurden, preisen Protest-Nostalgiker nicht selten die Radikalität dieser Verweigerung[14]. Pragmatiker spotten, schuld daran seien lediglich unvereinbare Termine, miese Honorarangebote und keine Lust zu reisen.

Andererseits behaupten Szenekenner, es existierten Projektfotos aus diesen Jahren, auf denen Wagner und Feigl gemeinsam zu sehen sind: etwa Wagner auf einer Veranstaltung von Feigl im Roten Salon der Volksbühne Berlin, das Gesicht halb von einer Schirmmütze mit der Aufschrift 'I Love Corleone' bedeckt, oder Feigl in einem Projekt von Wagner im WUK Wien, nur schemenhaft erkennbar an einem Piano im Bühnenhintergrund sitzend. Darüber hinaus berichten Augenzeugen, man habe Wagner und Feigl als Pandas verkleidet in den Straßen Helsinkis gesehen. Wagner-Feigl selbst bemerkten dazu lakonisch:

"Würden wir eine Kartographie unserer bisheriger Leben zeichnen, wäre 'Wagner-Feigl-Forschung/Festspiele' darin ein Sumpfgebiet, derart wuchernd und tief, dass jeder Versuch, es trocken zu legen, scheitern würde."[15]

Tatsächlich habe man in der Zeit nach 2009 zahlreiche neue Konzepte wie etwa über den Arbeits-Unfall und die Arbeits-Unfähigkeit, über die Geschichte des Reenactments in der Performancekunst und über die Ästhetik der Zeit (24-h-Zeitlabor / Durational Performance) entwickelt.

2018, genau 20 Jahre nach 'Warum wir so gute Performance machen', beginnt die Wagner-Feigl-Forschung/Festpiele mit ersten Planungen zu 'Hyperobjekte? Wagner und Feigl arbeiten dran... Blech und Gewebe I-VII'.

Die Atmosphäre im Sumpfgebiet habe sich verändert, behaupten Wagner-Feigl in einem Arbeitsgespräch[16], forsch-aggressiver Aktionismus sei umgeschlagen in lustvolle Melancholie, gepaart mit 'präfeministischem Patriarchenpathos'[17] alternder Performancekünstler. (Sie lachen).

 

[1]Bob Wilson war in den 80er Jahren mehrfach Gastprofessor in Gießen. Wagner durfte ihm als HiWi ein Gehaltskonto bei der Sparkasse Gießen einrichten. Ob er ihm auch die Brille putzen durfte, ist nicht überliefert.
[2]Opleiding Objekttheater an der Hogeschool voor der Kunsten, ein kurzer, intensiver Traum. Der 1989 gegründete und hervorragend eingerichtete Studiengang wurde, kaum hatte er sich konturiert, aus sparpolitischen Gründen 1995 wieder geschlossen.
[3]Daraus ging die Boy-Group 'Showcase Beat Le Mot' hervor (im nie offiziell bestätigten Wettbewerb mit der sich nahezu zeitgleich bildenden Girl-Group 'She She Pop'). Feigl hat das Performancekollektiv im Jahr 2003 wieder verlassen.
[4]Heute ist Nils der Leiter des Rowohlt Theaterverlags. Er muss sich also nicht mehr mit Performer*innen, sondern nur noch mit Aufführungsrechten herumschlagen.
[5]Das Interview mit dem Titel "Alles klar? Nichts ist klar!" gab Otmar Wagner der österreichischen Tageszeitung 'Der Standard' im Herbst 2018. Nach tiefgreifend ausfälligen Äußerungen über die österreichische Medienlandschaft, insbesondere der linken Medien ("Ihr Arschlöcher bedient doch den Faschismus, weil ihr nämlich, fett und faul wie ihr seid, in Wirklichkeit gar kein kulturpolitisches Gegenkonzept zum Opernball, zum Burgtheater und zur FPÖ haben wollt") wurde die redaktionelle Entscheidung getroffen, das Interview nicht zu publizieren.
[6]Diese letzte, scheinbar aus der Luft gegriffene Bemerkung von Wagner wurde im April 2019 durch die Realität eingeholt: durch den Skandal an der Ballettakademie der Wiener Staatsoper. Schikanen, Misshandlungen und Ratschläge wie der, mit dem Rauchen anzufangen, um die Linie zu halten, waren an der Tagesordnung, wie eine Sonderuntersuchungskommission im Dezember 2019 bestätigte.
[7]ballett international / tanz aktuell I/99, S.28-33
[8]Brief an Redakteur Arnd Wesemann vom 17. November 1998
[9]In der Presseerklärung zu 'Quo Vadis?' heißt es: "Wir schießen uns in den Weltenraum. Von dort sehen wir uns selber zu, wie wir durch einen Supermarkt gehen und uns mit dem Nötigsten versorgen - kleinere Diebstähle und die eine oder andere Überflüssigkeit inklusive. 'Quo Vadis' füllt uns und könnte der Name des grenzenlosen Weiß vor der Tür sein. Aber noch ist nichts bezahlt. Wir vertreiben uns die Zeit bis zum nächsten Kunstwerk. Wir können es fast nicht aushalten. Diese fiebrige und zielgerichtete Erwartung hält einige Überraschungen bereit.Mit Drahtbürsten und Nagelkämmen bearbeiten wir uns gewissenhaft, bis es endlich soweit ist. Wir werden zu Daten und können wirklich reisen."
[10]Die Installation aus 666 Strohballen auf Feldern am Rand der E6 bei Göteborg fand sowohl in Schweden als auch international keine Beachtung
[11]Dieses Projekt am Theater an der Parkaue Berlin war äußerst erfolgreich und sowohl bei den Jugendlichen als auch bei theaterwissenschaftlichen Seminaren der Freien Universität Berlin sehr beliebt. Die Theaterperformance wurde trotzdem bereits nach 12 Aufführungen abgesetzt. Einer vertrauenswürdigen Quelle zufolge lag das daran, dass die Künstler es versäumten, mit dem damaligen Oberspielleiter saufen zu gehen.
[12]u.a. Freie Universität, Berlin / Internationaler Theaterkongress ,Hildesheim / Symposium 'Performativity', Universität Kopenhagen / 'Mustermesse 2'', Theaterdiscounter Berlin / 'Unfriendly Takeover', Frankfurt/Main / - 'into the city', Wiener Festwochen / FFT Düsseldorf / Festival 'bone 11', Schlachthaus Bern
[13]z.B. in: 'Performance Research' - Vol. 11, No 2 'Indexes', 2006 und in: Barbara Büscher, Franz Anton Cramer (Hg.): 'Fluid Access: Archiving Performance-Based Arts'. Hildesheim: Olms, 2017
[14]Die Verweigerung von Wagner und Feigl sei vor allem gegen das Regime eines neuen Kuratoren-Typus' gerichtet, der sich selbst als Künstler in den Mittelpunkt stelle, und zunehmend den Künstlern, die seine Ideen visualisieren sollen, die Themen diktiere, um sie als Füllmasse all seiner Kongresse, Events, Symposien und Festivals zu missbrauchen. Wagner-Feigl dazu: 'Das ist doch reine Spekulation!'
[15]in: 'Wagner und Feigl arbeiten daran', WUK Magazin, Januar 2020; online: www.wuk.at/magazin/wagner-und-feigl-arbeiten-daran/
[16]das Gespräch wurde am 12.03.2019 mit Esther Holland-Merten im Rahmen der Projektvorbereitungen im Projektraum des WUK geführt
[17]den Begriff habe man einem Roman von Paulus Hochgatterer entlehnt

Der Künstler Otmar Wagner ist seit Jahren kontinuierlich mit seinen Arbeiten im Programm von WUK performing arts vertreten, zuletzt mit seinem „Wunde Welt“-Zyklus. Geplant war, ihn nun zum ersten Mal gemeinsam mit seinem Kollegen Florian Feigl in Wien zu erleben, mit einem Projekt, das an den sophiensaelen Berlin seine Premiere erlebt hat. 

Dieser Text wurde für die Broschüre neun | nine von WUK performing arts verfasst. Die Broschüren der Saison 2017 | 2018 sowie 2018 | 2019 können auf unserer Website digital gelesen werden.

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