Blau ist keine warme Farbe

Blau ist eine Primärfarbe. Eine sogenannte kalte Farbe. Auch des österreichischen politischen Spektrums. „Stimmungsimpressionisten des 19. Jahrhunderts, speziell Wachau-Maler“, dafür kann sich FPÖ Kultursprecher Walter Rosenkranz trotzdem erwärmen. Das Kulturbudget? Ist „hoch genug“. À la Anti-Establishment außerdem: „Künstler lassen sich gern für die politisch Herrschenden instrumentalisieren“. Abschaffung „Förderdschungel“, „Staatskünstler“ und „Subventionitis“. Dann endlich L’art pour l’art. „Die Kunst ist frei, gewiss doch“, aber „unter dem Deckmantel der Kunst politisch zu agieren“, nee, also nee, Missbrauch, so Wiener Gemeinderätin Ulrike Nittmann. Dass ein Deckmantel auch in den Farben ultramarineblau oder braun erhältlich ist, „abseits aller Moden“, das wäre demnach keine Instrumentalisierung. Ein Freiheitskampf. Norbert Hofers „Lieblingsmaler“ Odin Wiesinger schwimmt laut unzensuriert.at „gegen den Strom des Zeitgeistes“. Der Zeitgeist aber, dieser unzuverlässige Hundianer, hat die FPÖ zu den „politisch Herrschenden“ gemacht.

"Faschisten, bevor sie an der Macht sind, pochen auf Gesetz, Sitte und Ordnung. Um dann Gesetz, Sitte und Ordnung umso massiver zu verletzen, wenn sie die Macht haben. (...) Sie kennen den Gebrauch der Freiheit nur in der Form, die Nichtfaschisten Mißbrauch nennen würden; sie üben alles das als neue Freiheit aus, was sie vorher bei anderen Menschen als ‚Unsittlichkeit' gebrandmarkt und verfolgt haben." (Klaus Theweleit)

Blau, die Primärfarbe, ist Trumpf im additiven Mischverfahren. Macht aus einem unbunten Schwarz, ein eisiges Türkis. „Es wird keine Kürzungen geben“, es wird demnach auch keine Erhöhungen geben. Aber „dem Sebastian Kurz ist Kultur ein großes Anliegen“ richtet ÖVP Kultursprecherin Maria Großbauer dem Standard aus. Soziale Absicherung? „Für junge Menschen ist #Eigentum die beste Maßnahme gegen #Altersarmut“. Dann sollen sie halt Kuchen essen. Immerhin: „Davon kann man nicht wahnsinnig gut leben“. Die „Betroffenen“ könnten mit den „Beteiligten“ ein „Leitbild für Kunst und Kultur“ entwickeln. Und so ein Leitbild, das braucht Deckfarben, Farben der sozialen Kälte. Wir befinden uns im Jahre 2017. Ganz Österreich ist von Türkis bewegt... Ganz Österreich? Nein! Familie Babayigit kümmert sich mit ihrer Restaurantkette Türkis „weiterhin“ um die Zubereitung vom „besten Kebab Wiens“.

 "Die Ästhetisierung der Politik kann nicht durch eine Politisierung der Kunst rückgängig gemacht werden; vielmehr geht es um die revolutionäre Veränderung, nämlich genau um die Frage, wie die Masse doch noch ihr Recht auf Veränderung der Eigentumsverhältnisse bekommt und nicht im bloßen Ausdruck ihrer selbst – im Spektakel – stecken bleibt." (Roger Behrens)

Dass wir, zeitlich nach Walter Benjamin, irgendwo im Zeitalter der „Ästhetisierung der Politik“ zu Hause sind, zeigt sich nicht nur an den kosmetischen Lösungen im Umgang mit globalen Angelegenheiten wie dem Klima, der Globalisierung und dem Krieg. Zeigt sich auch anhand des Vertrauensverlustes der repräsentativen Demokratie. Einmal Neuwahl, einmal Star Search bitte sehr. Ob oder nicht oder inwieweit und welche Art von „Politisierung der Kunst“ darauf eine Antwort sein könnte, das diskutieren wir, das diskutieren wir auch bitte weiterhin. Etwas rückgängig zu machen, das ist im besten Falle magisches Denken, im schlechtesten: „Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit“. (George Orwell)  

Wir befinden uns also im Jahre 2017. Im Bild der österreichischen Bundesregierung dominieren blaue Farbtöne. Immerhin: Die von der FPÖ geforderte „Verpflichtung zur verstärkten Ausstrahlung österreichischer Inhalte“ könnte zu einer verbesserten Repräsentation der österreichischen Musikszene im öffentlich rechtlichen Radio führen. Und: Es lebe das Rauchen! Was sollen wir denn heute Abend machen? Genau dasselbe, wie jeden Abend. Anti-diskriminatorische Basisarbeit, H&M-Boykott und Veganismus. Mut, Behutsamkeit und Solidarität.

Die "Spiele der Künstler und Ästheten und deren Ringen um das Monopol künstlerischer Legitimität (sind) so unschuldig nicht (...), wie sie sich geben: keine Auseinandersetzung um Kunst, bei der es nicht auch um die Durchsetzung eines Lebensstiles ginge, will heißen die Umwandlung einer willkürlichen Lebensform in eine legitime, die jede andere Form in die Sphäre der Willkürlichkeit verbannt." (Pierre Bourdieu)

Theresa Luise Gindlstrasser, Katsdorf-Linz-Wien-Berlin-Wien, arbeitet als freischaffende Journalistin, Falter-Wiener Zeitung-Nachtkritik-Gift. Schreibt über Theater, Tanz und Performance, studiert immer noch Philosophie. 

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