Gender – I don’t care

Gender – I don’t care

Jugendliche beschäftigen sich mit Gender

Teilnehmer_innen des culture_lab der Produktionsschule spacelab präsentierten von 4. bis 11. Mai 2019 in einer Ausstellung im Rahmen des Theaterwild:Festivals im Dschungel Wien verschiedene Perspektiven auf das Thema Gender.

Beitrag von Susanne Senekowitsch, Produktionsschule spacelab

Das Thema Gender hat auch uns die letzten Monate begleitet. So kontrovers es in unserer Gesellschaft diskutiert wird, so unterschiedlich sind auch die Meinungen und Standpunkte der Jugendlichen im culture_lab gewesen, und das sind sie noch. Aber fast alle haben sich darauf eingelassen und haben sich künstlerisch mit dem Thema auseinandergesetzt.“
Bereits in den Einleitungsworten der Trainerin Jennifer Vogtmann bei der Ausstellungeröffnung im Rahmen des Theaterwild:Festivals wird es deutlich. Die monatelange Beschäftigung des culture_lab mit Gender war nicht immer frei von Konflikten. Im Zuge der Vorbereitungen für ihre Ausstellung im Dschungel Wien haben sich Jugendliche verschiedenen Alters und mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen sehr intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Wie eng verbunden es mit der eigenen Identität ist, zeigte unter anderem der lebhafte und teilweise emotionale Diskurs der Teilnehmer_innen.

Es war eine Diskussion lange Zeit, die hat uns wahnsinnig müde gemacht, aber auch glücklich gemacht. Wir haben gestritten. Wir haben uns umarmt. Wir haben Leute rausgeschmissen. Sie haben uns rausgeschmissen. Also es war wirklich viele Monate Kampf.“ Trainer und Künstler Hawy Rahman erzählt, wie jene Auseinandersetzung, die in der Gesellschaft zu Gender stattfindet, plötzlich mitten im culture_lab landete. Dabei stießen sehr unterschiedliche Meinungen und Welten aufeinander. Viele Jugendliche standen dem Thema sehr offen gegenüber. Es kam aber auch vor, dass die Trainer_innen geradezu erstaunt waren, wie konservativ junge Menschen denken können.

Gerade in dieser Auseinandersetzung des culture_lab zeigt sich jedoch ein wichtiger Aspekt von Kunst. Sie soll nicht nur unterhalten, sondern kann einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten, indem sie kritische Impulse und Beiträge zu aktuellen gesellschaftlichen Debatten liefert. Die künstlerische Auseinandersetzung bietet eine Möglichkeit, individuelle und kollektive Identitäten zu artikulieren und eigene Erfahrungen und Denkmuster zu reflektieren. Genau das ist den Trainer_innen und Teilnehmer_innen des culture_lab mit ihrer vielseitigen Ausstellung auch gelungen, die begleitend zum Theaterfestival für ein junges Publikum in der Festivalzentrale zu sehen war. 

Adriana erschuf etwa in einem Comic eine Welt mit umgekehrten traditionellen Geschlechterrollen. Vanessa hinterfragte in einer Medienanalyse Stereotypen von Disneyfiguren. Said-Amin erstellte mit dem Grafiktablet zwei Werke zu den Themen „Schubladendenken“ und „Adam und Peter“. Tamerlan gestaltete ein Bild, auf dem in verschiedenen Sprachen „Gender – I don’t care“ steht. Stefan produzierte eine Skulptur mit dem Titel „Ravnopravnost“, was auf Kroatisch „Gleichberechtigung“ bedeutet. Alex und Caro kreierten eine Lichtinstallation zum Thema LGBT. Mattis produzierte ein Bild mit Stencils. Während neben einem Rapper der Schriftzug „suspect“ abgebildet ist, steht neben der Rapperin der Begriff „boss“. Robin zeigt in einer Performance, dass Menschen gar keine Hilfe brauchen, um in Schubladen gesteckt zu werden. Sie machen das selbst. Zusätzlich präsentierte er seinen "GenderSlam".

Eyüp malte unter dem Titel „Picagenderes“ ein großformatiges Bild mit einer Graffitischrift, dem Bild einer zur Seite blickenden Frau und der Aufschrift „Liebe deinen nächsten wie dich selbst.“ Das Werk spielt sowohl mit Klischeevorstellungen von Blondinen als auch mit religiösen Texten. „Die Frau hat viele Vorstellungen im Kopf, aber wenn sie nach vorne blickt, wird sie bedrängt und sieht, dass sie benachteiligt wird,“ erklärt der Jugendliche.  Die Aufschrift zur Nächstenliebe, die sowohl im Islam als auch im Christentum vorkommt, passte für ihn wiederum gut zum Thema Gender. Er fügt hinzu: „Wenn jeder seinen nächsten lieben würde, hätten wir das Problem nicht in der Welt.

Die Ausstellungseröffnung stellte den Höhepunkt einer langen Entwicklung dar. Das Kooperationsprojekt mit dem Dschungel Wien wurde schon seit 2018 geplant und vorbereitet. Im Dezember konnte sich das culture_lab bereits die Räumlichkeiten anschauen. Die Wände wurden fotografiert und in Folge entstand anhand von Skizzen gemeinsam ein genauer Plan für die Ausstellung. Natürlich kam es bis zur Eröffnung noch zu spontanen Änderungen, so dass viel Flexibilität und Anpassungsfähigkeit nötig war. Im Februar besuchte Sarah Schachner-Nedherer vom Dschungel Wien das culture_lab und die Jugendlichen präsentierten erstmals die geplanten und bereits umgesetzten Werke.

Im Rahmen der Ausstellungseröffnung am 4. Mai durften die Teilnehmer_innen des culture_lab dann schließlich in jeweils zwei bis drei Sätzen das eigene Werk präsentieren. Viele Jugendliche nutzten die Gelegenheit bei der Vernissage, die unterschiedlichen Reaktionen des Publikums zu beobachten. Es wurden interessante Gespräche mit diversen Menschen über die eigenen Kunstwerke und über Gender geführt. Ein Besucher meinte etwa, er selbst sei zwar ganz anderer Meinung, er fände es aber gut, dass junge Menschen heute alles umkrempeln.

Dogukan erzählt, er habe mit einer Frau geredet, die sich sein Hörspiel anhörte und es gut fand. Dabei geht es um Vorurteile von Männern und Frauen. Zwei Lehrlinge reden in ihrer Mittagspause. Sie zählen viele Vorurteile auf bis sie schließlich erkennen, dass alles ein Blödsinn ist. Neben dem Hörspiel ist ein Spiegel zu sehen, vor dem Barbie und eine Actionfigur mit vertauschter Kleidung hängen. Im Spiegel bekommen die Betrachter_innen sich selbst und ihre Vorurteile wiedergespiegelt. Für sein Hörtheater hat Dogukan extra eine Umfrage gemacht und zu Vorurteilen recherchiert.

Ein anderer Jugendlicher, Bashar, schuf gleich eine recht beeindruckende Anzahl an Kunstwerken. In seiner Heimat Syrien hat er, bevor er flüchten musste, Kunst studiert. So ist es kein Wunder, dass seine Erfahrungen mit dem Krieg auch in seinen Kunstwerken sichtbar werden. Eine Zusammenstellung mehrerer Werke zeigt etwa je ein halbes Gesicht von einer Frau und einem Mann. Darüber hängt das Bild eines Totenkopfes. „Ob Mann oder Frau, wenn man tot ist, dann gibt es keinen Unterschied,“ erklärt Bashar. Auf einem anderen Bild ist Getreide abgebildet. Es steht dafür, dass man immer an die Zukunft denken muss und nicht nur an heute oder gestern. Wie die Pflanzen im Bild, so sind auch die Menschen sehr unterschiedlich und nicht jeder hat die gleichen Chancen.

Ein weiteres Gemälde mit einer Frau, einem Mann und einer Waage zeigt das herrschende Ungleichgewicht. „Wir können viel reden,“ meint Bashar abschließend sehr richtig, „aber reden allein ändert nichts.

Jetzt, wo das Theaterwild. Festival zu Ende gegangen ist, sind die Kunstwerke der Jugendlichen in die Werkstatt des culture_lab übersiedelt, wo sie noch eine Zeit zu sehen sein werden.

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