Wir üben Solidarität

Schüler_innenschule (c) Andy Orel
Schüler_innenschule (c) Andy Orel

Wir üben Solidarität

Bericht aus der WUK Selbstverwaltung

Brigitte Theißl wirft einen Blick in die WUK Selbstverwaltung

Mehr als 150 autonome Gruppen im WUK organisieren sich basisdemokratisch. Ein manchmal mühsamer Prozess der Selbstverwaltung, der die gesellschaftspolitische Bedeutung des
Werkstätten- und Kulturhauses unterstreicht: Schon Kinder lernen hier, wie Demokratie funktioniert.

In jeder Gruppe gibt es sie: Menschen, die sich bei jeder Gelegenheit zu Wort melden und andere, die lieber still beobachten. 14 Vertreter_innen aus dem Bereich der Gesellschaftspolitischen Initiativen im WUK sitzen an einem Donnerstagabend im November zusammen. Der enge Raum hat sich aufgeheizt, die Stimmung ist dennoch entspannt. Aus dem Nebenraum auf Stiege fünf ist ein Schlagzeug zu hören.

Einmal pro Monat trifft sich die Gruppe zu einem Bereichsplenum. Hier werden aktuelle Probleme besprochen, Aufgaben verteilt, Informationen weitergegeben. Die  Agenda für den Abend ist entsprechend lang, Traubensaft und Salzgebäck stehen auf einem kleinen Tisch in der Mitte. „Würde irgendeine Katastrophe in Wien passieren, ich würde ins WUK  kommen“, sagt eine Teilnehmerin und lacht. Sie meint es durchaus ernst: Kaum eine Sprache, die im WUK nicht gesprochen wird, unter den „WUK-Tätigen“ finden sich Menschen, die  Expert_innen sind für die politische Lage im Iran, für das österreichische Asylwesen oder für radioaktive Strahlung.

Die 27 Gruppen aus dem Bereich der Gesellschaftspolitischen Initiativen organisieren sich so wie die anderen selbstverwalteten Bereiche im WUK (Bildende Kunst, Interkulturelle Initiativen, Kinder und Jugend, Musik, Theater/Tanz/Performance, Werkstätten) über das monatliche Plenum. Vertreter_innen aus den sieben Bereichen wiederum diskutieren im WUK-Forum mit dem Vorstand und der Geschäftsleitung Themen, die das gesamte Haus betreffen.

Kommunikation auf Augenhöhe

„Es braucht schon eine Weile, um das WUK wirklich zu verstehen“, sagt Christine Baumann. Die bildende Künstlerin nutzt ein Atelier in den WUK-Räumlichkeiten und arbeitet Teilzeit im Informationsbüro – dort, wo alle früher oder später landen, die sich auf dem weitläufigen Gelände in der Stiege oder Tür geirrt haben. „Ich habe immer schon ein Problem mit Hierarchien gehabt. Ich wusste: So will ich nicht arbeiten“, erzählt Baumann.

Nach ihrem Kunststudium in Deutschland zog es sie in den frühen 1990er-Jahren nach Wien. Im WUK fand sie das, wonach sie gesucht hatte: Selbstverwaltung auf der Basis von Solidarität und Kommunikation auf Augenhöhe. Gelebte Vielfalt und eine Konfliktkultur, an der alle Beteiligten immer wieder von Neuem arbeiten. „Das klingt jetzt gar perfektionistisch, natürlich kann Basisdemokratie auch einmal anstrengend oder frustrierend sein“, sagt Baumann. Basisdemokratie bedeute schließlich auch, sich selbst zu hinterfragen, Diskussionen wenn nötig immer wieder zu führen.

Plenum (c) Archiv
Plenum (c) Archiv

Anstrengend und bereichernd

Wie die Selbstverwaltung im WUK im Detail funktioniert, ist immer wieder Gegenstand gemeinsamer Aushandlungsprozesse. Claudia Gerhartl, die die SchülerInnenschule im WUK leitet, beteiligt sich seit Jahrzehnten daran. Als „WUK-Urgestein“ bezeichnet sie sich selbst auf der Website. Über eine neu gegründete Kindergruppe kam Gerhartl 1986 ins WUK – und blieb. „Es war meine Rettung“, sagt sie. Kurz nach Studienbeginn war sie schwanger geworden, im WUK fand sie Menschen, mit denen sie sich politisch austauschen konnte – ein neues Zuhause. Gerhartl engagierte sich früh in den Strukturen. In Plena und Generalversammlungen sei nächtelang über Details wie die Anstellung der ersten Reinigungskraft diskutiert worden, erinnert sie sich. Unglaublich anstrengend sei das gewesen und zugleich bereichernd – ein Experimentierfeld für alle Beteiligten. „Es ist klar, dass solche Projekte entweder irgendwann sterben oder sich eben professionalisieren“, sagt Gerhartl mit Blick auf die aktuelle Situation.

Schüler_innenschule
Schüler_innenschule

Kinder sind eingebunden

Sich demokratisch zu organisieren, das lernen die Kinder in den Kindergruppen und den beiden freien Schulen im WUK schon früh. In der SchülerInnenschule sind alle Erwachsenen Vereinsmitglieder, aktuelle Fragen werden auf regelmäßigen Treffen gemeinsam mit den Schüler_innen besprochen. Wie etwa die Handynutzung in der Schule – ein Dauerbrennerthema für Eltern ebenso wie die Jugendlichen. „Von dem basisdemokratischen Prinzip profitieren die Kinder ein Leben lang. Sie üben sich in Solidarität und Konfliktlösung“, sagt Gehartl. Bei einem Plenum vor 65 Menschen ein Anliegen zu vertreten – eine Mutprobe, der sich in den WUK-Schulen schon 10-Jährige stellen. Mit nachhaltigem Effekt.

Davon kann auch Josefine Liebe berichten. Seit 2002 arbeitet sie als Betreuerin in einer elternverwalteten Kindergruppe im WUK, auch hier werden die Kinder in Entscheidungsprozesse miteinbezogen. Etwa, wenn eine neue Betreuerin oder ein Betreuer sich um eine Stelle bewirbt. „Die Kinder merken, dass sie eine Wirkung haben. Sie werden so motiviert, in allen Lebensbereichen mitzugestalten“, sagt Liebe. Regeln, die alle Beteiligten gemeinsam aufstellen, werden laufend auch wieder abgeändert – ein Standardrezept für ein gelungenes Miteinander gebe es eben nicht.

Die andere Seite abseits der Autonomie in der Kindergruppe kennt Liebe auch die Arbeit im Vorstand des WUK, wo sie 2006 tätig wurde und nach einer mehrjährigen Pause seit 2017 wieder aktiv ist. Den Verein zur Schaffung offener Kultur- und Werkstättenhäuser – Rechtsträger des WUK – leitet ein sechsköpfiger Vorstand, der über die strategische Ausrichtung entscheidet. Wenn Josefine Liebe als Vorstandsmitglied auftritt, fühlt sie sich oft wie auf der „anderen Seite“. „Ich merke schon, dass Menschen immer wieder Dinge auf mich projizieren, weil ich im Vorstand bin. Dass da ein Machtgefälle gesehen wird, das so vielleicht gar nicht da ist“, sagt Liebe. Dennoch erlebt die Kindergruppenbetreuerin die Arbeit als äußerst produktiv. „Ich habe hier so unglaublich viel über Kommunikation gelernt“, sagt sie.

Auch wenn die Kommunikation oft nicht reibungslos verlaufe – wichtig sei die Möglichkeit, Probleme ansprechen zu können. Etwa, wenn in Plena Männer viel mehr Redezeit beanspruchen. Oder
schüchterne Menschen sich nicht zu Wort melden. „Dann muss man eben kreative Wege finden, alle miteinzubeziehen.“ Im Plenum der Gesellschaftspolitischen Initiativen hat sich die Gruppe  nach kurzer Diskussion darauf geeinigt, wie man ein Projekt gemeinsam unterstützen möchte. „Ich glaube wir reden heute zu viel durcheinander“, sagt ein Aktivist.

Text von Brigitte Theißl

Brigitte Theißl lebt als freie Journalistin und feministische Erwachsenenbildnerin in Wien. Sie ist Redakteurin beim feministischen Magazin an.schläge und bloggt unter www.denkwerkstattblog.net

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