logo

Die neue Ära der Rohstoffe

Über die Gewinnung von seltenen Erden und die Ausbeutung von Natur und Mensch - Ein Text von Mathias Lenz und Samuel Schaab

Das Gebäude des WUK blickt auf eine vielfältige, auch „eisenreiche“ Geschichte zurück. Der Veranstaltungssaal erstreckt sich entlang der Wilhelm-Exner-Gasse, die in den Jahren 1883 bis 1930 den Namen Eisengasse trug – benannt nach der in dieser Zeit im Gebäude ansässigen Eisengießerei und Maschinenfabrik von Georg Sigl. Im Mai bringt die Performance „Graglach“ das Eisen und seine Historie ins WUK zurück.

Am Anfang des 15. Jahrhunderts entstand beim Schmelzprozess in den Schmieden der Steiermark zum Teil unbrauchbares Roheisen. Es wurde von den Arbeiter_innen als „Graglach“ bezeichnet. Gragler oder Gradler waren Blähhausarbeiter_innen, die den Blähofen mit Kohle und Erz anfüllten. Heute leben wir im Zeitalter der seltenen Erden. KI und Clouds umgeben uns und gliedern die Abläufe des Lebens. Die Monopolisierung von KI wird vorangetrieben durch eine weiße Techelite, die in den letzten zwei Jahrzehnten ungeheure Datenmengen ihrer Benutzer_ innen angesammelt hat. Und nur wer Daten als Rohstoff hat, hat auch KI. Ihr Glaube, dass es für jedes Problem eine technische Lösung gibt, ist unerschütterlich. Um sich selbst noch größer zu machen, stilisieren sie KI zur leuchtenden Zinter eines Berghängers für alle noch zu lösenden Probleme.

KI sei so unsagbar effizient heißt es, das kann doch nur die ultimative Geheimwaffe sein gegen übermäßigen Ressourcenverbrauch, ein Turbo für die nachhaltige Transformation unserer Gesellschaft. Allerdings ist es mitnichten so, dass sich Geschäftsmodelle, die auch schon vor dem KI-Hype auf sozialer und wirtschaftlicher Ausbeutung beruht haben, nun plötzlich geändert hätten. Vielmehr ist damit die Möglichkeit geschaffen, diese Modelle noch effizienter zu machen und menschlichen Widerstand dagegen noch schwieriger.
Auf die Frage, wie eine KI bildlich darzustellen sein soll, empfiehlt ein weit bekannter Chatbot wenig überraschend „die Verwendung eines menschenähnlichen Kopfes oder Gehirns, das mit technischen Elementen verschmolzen ist“. Auch die Bildersuche einer bekannten Suchmaschine bringt ähnliche Ergebnisse. Doch diese Sichtweise ist durchwegs falsch und dazu auch noch gefährlich.

Denn die KI existiert nicht aus sich selbst heraus, sondern in hochmodernen Hammerwerken mit stetig steigendem Hunger nach Energie, Wasser, Rohstoffen und paradoxerweise menschlicher Arbeit. Denn eine KI bauen ist die eine Sache, die Trainingsdaten zu sortieren die andere. So ist die Arbeit, die wir bei der Verwendung von KI konsumieren, keineswegs die eines künstlichen Gehirns. Sondern vielmehr die Arbeit der modernen Blähausarbeiter, der unsichtbaren Klickarbeiter_innen des globalen Südens.

Und so führt die KI-Technologie die Tradition einer brachialen Extraktion auf zwei Ebenen fort: Einerseits im Abbau von Unmengen an seltenen Erden weltweit, andererseits im digitalen Bergbau von Userdaten.

Die Performance Graglach bringt das Publikum nun an den Beginn des technologischen Wandels zurück, den frühen Eisenbergbau in der Steiermark. Sechs Performer_innen konstruieren gemeinsam einen großen Metallring – es wird von Hand gebogen, verformt, geschweißt, und so zwängt sich der Stahl in den Saal und wird zum klingenden Loop. Wir lauschen längst vergessenen Anekdoten aus dem Bergbau und folgen dem Cloud-Chor in die Zukunft.

Über das Stück

Am Anfang des 15. Jahrhunderts entstand beim Schmelzprozess in den Schmieden der Steiermark als Nebenprodukt unbrauchbares Roheisen, das von den Arbeiter_innen als Graglach bezeichnet wurde. Heute leben wir im Zeitalter der seltenen Erden. Sie sind Ursubstanz einer Industrie, die KI und Clouds ermöglicht und mit ihrem unendlichen Datenhunger die Geschichte der Ausbeutung von Ressourcen im Exzess auf die Spitze treibt.
Die Performance Graglach verwendet diesen sozialen und technologischen Zündstoff als Hintergrundrauschen für die Entstehung einer raumgreifenden Klangskulptur.

Sechs Performer_innen konstruieren gemeinsam einen großen Metallring – zehn Hände biegen am Eisen, schweißen im Zelt und zwingen die Rohstoff-Chimäre in den Raum. Der Stahl-Loop wird zur Feedbackschleife, zum kollektiven Instrument und zum Taktgeber des Abends. Parallel folgen wir einem minimalistischen Cloud-Chor und lauschen längst vergessenen Anekdoten aus dem Bergbau rund um Graz und Eisenstadt. Es geht um den Blähausübergeher, das Abstangeln, den Lederaffen, das Puddeleisen oder das Griesbeil – bizarre und inzwischen längst vergessene Begriffe für die Gewinnung des Rohstoffs Eisen, der heute die Weltmärkte mit seiner Verfügbarkeit und seinem Preis beeinflusst.

So folgt im Stück Graglach alles der Kreisbewegung des Stahlrings – Performer:innen, Klang, Gäste und Werkzeuge gleichermaßen. Indem die Schöpfung des Metallrings als kollektives Happening erfahrbar wird, entfaltet sich ein Raum für elementare und entlegene Fragen:
Für was steht das Graglach im 21. Jahrhundert?
Wie transformiert sich der Rohstoff-Noise zu neuen, ungewöhnlichen Formen?
Schmieden wir eine Stahl-Intelligenz zur Wiederholung aller Fragen?
 

Gallery

Credits

Performance, Chor, Komposition
Mathias Lenz, Maja Osojnik, Violetta Parisini, Karolina Preuschl, Samuel Schaab

Percussion
Sixtus Preiss

Künstlerische Leitung
Mathias Lenz & Samuel Schaab

Licht & Bühnenbild
Mathias Lenz & Samuel Schaab

Keramikobjekte
Jakob Hohmann

Sounddesign
Samuel Schaab

Produktion
Alisa Beck

Öffentlichkeitsarbeit
Ulli Koch

Fotos
Nikolaus Ruchnewitz

Koproduziert von WUK performing arts.
Gefördert von der Kulturabteilung der Stadt Wien und dem österreichischen Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport.

Biografien

Mathias Lenz, geb. 1980 in Linz, Kindergarten, Volksschule, AHS Matura, Präsenzdienst, Schauspielausbildung am Konservatorium der Stadt Wien bei Elfriede Ott und Elevenvertrag am Wiener Burgtheater. Dann doch lieber Performancekünstler geworden. Seitdem Arbeiten in wechselnden Konstellationen und Kontexten an den vermeintlichen Grenzen zwischen Objekttheater, Live Art und Maschinenbau sowie als Mitglied der Berliner Gruppe Club Real an alternativen politischen Realitätsentwürfen.
www.buero-lenz.com

Maja Osojnik ist freischaffende Komponistin, Sängerin und frei improvisierende Musikerin. Sich im Limbus zwischen analoger und digitaler Kunst, virtuellen und realen Räumen bewegend, versucht sie die klanglichen Spektren diverser Instrumente zu erweitern, zu dekonstruieren, diesen andere, neue Rollen zuzuweisen. In ihren Kompositionen verbindet sie ihre Liebe für einfache Songs, experimentelle, elektro-akustische Musik, Alte und Neue Musik sowie Elemente und Formen von Noise und Rock. Sie komponiert Musik für Tanz, Theater, Film, Radio, diverse Ensembles und Orchester und schreibt Gedichte. Seit 2018 betreibt sie dasLabel MAMKA RECORDS, welches sich der Veröffentlichung hochwertiger, in Eigenproduktion gestalteter Tonträger in Kleinstserien verschrieben hat. Seither widmet sich Maja Osojnik fokussierter zwei ihrer großen Leidenschaften: dem Druck und der Produktion grafischer Klang-Partituren. Ihre Solo-Performances, Werke und Formationen, u.a. Rdeča Raketa, ZSAMM, Broken.Heart.Collector, Maja Osojnik Band, Subshrubs, Low Frequency Orchestra etc. wurden auf verschiedenen internationalen Festivals präsentiert.

Die Musikerin Violetta Parisini begann ihre künstlerische Karriere während eines Philosophie-Studiums als singende DJ. Nach dem wiederholten Verlust ihrer Stimme legte sie eine Techno-Club-Pause ein, machte ihren Studienabschluss und kaufte sich ein Klavier. Auf Universal Music Austria veröffentlichte sie 2010 und 2012 ihre ersten beiden englischsprachigen Alben, die auf Begeisterung bei Kritiker*innen und Publikum stießen.
In den darauffolgenden Jahren wurde Violetta Parisini zwei mal Mutter, kuratierte 2014 das Popfest Wien und wirkte bei verschiedenen Kunstprojekten mit, bevor sie ihr nächstes Solo-Album "Alles Bleibt" auf dem gemeinsam mit dem Produzenten Sixtus Preiss gegründeten Label „Else Musik“ veröffentlichte. Das Album, am 28.Februar 2020 veröffentlicht, verhandelt Themen wie Depression und Identitätssuche und erntete berührte und ausführliche Kritiken. Im Herbst 2022 folgte die EP "Unter Menschen". Violetta Parisini spielt regelmäßig Konzerte im Trio und solo, schreibt Lieder auch mit und für andere Musiker*innen, unterrichtet eine Songwriting-Klasse am Vienna Music Institute in Wien, und schreibt nicht nur Songs, sondern auch Texte für ihren Blog oder Keynotes, zB zum Thema Mutterschaft und Kunst. Momentan arbeitet sie an ihrem nächsten Album, das im Herbst 2024 erscheinen soll.

Sixtus Preiss ist Schlagzeuger, Multiinstrumentalist und Musikproduzent und arbeitet im Spannungsfeld zwischen Avantgarde und Popkultur. Er arbeitet als Komponist für Tanzperformances und neue Musik-Ensembles, als Konstrukteur von Soundinstallationen und Audioequipment, als Instrumentalist und Bandleader und als Klangbearbeiter und Produzent für Jazz- und Popmusikproduktionen. Durch dieses breite musikalische Spektrum Sixtus Preiss’ zieht sie sich ein Stil, der mit „rhythmisch“ beschrieben werden kann.

Karolina Preuschl, geboren 1991 in Wien, hat an der Akademie der bildenden Künste Wien studiert, ist Musikerin und Künstlerin. Musikprojekte: Wien Diesel, Snake Boots, die Husband, Coco Béchamel, MC Rhine. Karolina Preuschl rappte für KOENIGLEOPOLD, etablierte sich als Solo-Act MC RHINE und als Performancekünstlerin Coco Bechamel, versucht mit der Hip-Hop-Formation Kaltnadel Crew – laut Eigendefinition – weitestgehend unbekannt zu bleiben und steht seit jüngster Zeit mit Kollegin Marie Vermont (DNYE) alias Wien Diesel auf der Bühne, kollaboriert mit dem Performancekünstler Leon Hölllhumer oder dem Ensemble Studio Dan. 
www.karolinapreuschl.com

Samuel Schaab studierte Medienkunst an der Universität für Angewandte Kunst Wien sowie Kunst & Medien an der ZHdK Zürich. Seine Projekte & Ausstellungen finden sich an der Schnittstelle von bildender Kunst, Licht, Sound & Performance. Ausgangspunkt seiner Arbeiten ist meist der Raum und seine vielfältigen Einschreibungen. Ausgehend davon entwickelt er modulare Settings.
Vergleichbar mit einem Bühnenbild entstehen so veränderlich und performativ nutzbare Skulpturen und Raumfragmente. Seine Arbeiten waren unter anderem bei der Vienna Contemporary, dem Kunstforum Wien, der Art Brüssel, den Kunstfestspielen Herrenhausen, dem Musikverien Wien oder der Architektur Biennale Venedig zu sehen. Gemeinsam mit Jakob Suske kuratiert er seit 2017 die interdisziplinäre Serie SÄGEZAHN. Mit Benjamin Tomasi gründete er 2017 das Sound-Performance Projekt Hall. Diverse Kollaborationen mit Clara Frühstück, Alex Franz Zehetbauer, Karolina Preuschl, Sixtus Preiss, Oleg Soulimenko, Maja Osojnik, Daniela Georgieva u.a. 2022 erschien seine Monografie „Modifications“ im Verlag Salon für Kunstbuch. 2022 erhielt er das Staatsstipendium des Bundes.
www.samuelschaab.com

Logos