Boris Nikitin’s Arbeiten sind bekannt für ihre radikalen Grenzgänge zwischen Illusionstheater und Performance, zwischen Dokumentarischem und Propaganda.
In «Magda Toffler. Versuch über das Schweigen» blickt der Regisseur auf die Geschichte seiner Großmutter. Nachdem sie im Alter von 87 Jahren stirbt, erfährt er, dass sie ursprünglich aus einer jüdischen Familie stammte. In den Jahren 1944/45 musste sie sich über Monate in einer Scheune in der Ostslowakei verstecken, während ein Grossteil ihrer Familie in den deutschen Vernichtungslagern ihr Leben ließ. All dies behält sie für sich, gründet eine Familie, wird die erste Professorin der Chemie in der jungen sozialistischen Tschechoslowakei. Selbst vor ihren Töchtern verbirgt sie das Geheimnis.
Mit «Magda Toffler» macht Boris Nikitin eine Tiefenbohrung in die verborgenen Schichten des europäischen 20. Jahrhunderts. Das neue Stück ist roh, frontal, zugleich genau komponiert. Ein emotionaler wie intellektueller Grenzgang des Theaters. Nikitin gehört zu den wichtigen Regie-Autoren des zeitgenössischen europäischen Theaters. «Wie wenig andere führt Boris Nikitin das Theater an einen kritischen Punkt», so Theater heute. Der Zürcher Tagesanzeiger schreibt: «Der Basler Regisseur treibt das Genre des Dokumentartheaters an seine Grenzen. » 2020 wurde Nikitin mit dem Schweizer Theaterpreis ausgezeichnet. Sein Stück «Erste Staffel. 20 Jahre Großer Bruder», das er 2020/2021 für das Staatstheater Nürnberg inszenierte, wurde zu den Mülheimer Theatertagen und zum Heidelberger Stückemarkt eingeladen. «Magda Toffler. Versuch über das Schweigen» ist die zweite Arbeit, in der Nikitin selbst als Regisseur die Bühne betritt. Das erste, von der Kritik gefeierte Stück «Versuch über das Schweigen» ist seit über vier Jahren international auf Tour.
Pressestimmen (Auszug)
Weil niemand einen anderen etwas sagen hört, sagt niemand etwas." In dieser scheinbaren Tautologie fängt er die manipulative Macht von Überwachungsstaaten, Dokumentationstechnologien und Kollektiven ein.
Süddeutsche Zeitung
Es ist sehr still im Theater. (...) Es gibt kein "Guten Abend" und "Auf Wiedersehen", sondern nur ein ansatzloses Kommen und Gehen. Und zwischendrin werden die Seiten des Lebens ausgebreitet, vorgelesen, durchkostet, durchdacht.
Nachtkritik
„Versuch über das Schweigen handelt von der Monstrosität der NS-Verbrechen, die uns verstummen lässt. Boris Nikitin findet dennoch Worte für das Unaussprechliche; aber eben nicht, in dem er es benennt, sondern in dem er über die aus der Ohnmacht erwachsene Sprachlosigkeit nachdenkt und sein Publikum dabei mitnimmt.“
Bayerischer Rundfunk
Galerie
Credits
Text, Regie, Performance
Boris Nikitin
Produktionsleitung
Annett Hardegen
Outside-Eye
Annett Hardegen, Matthias Meppelink
In Auftrag gegeben von Steirischer Herbst, Staatstheater Nürnberg und It’s The Real Thing. Produziert von Staatstheater Nürnberg, steirischer herbst 22 und It’s The Real Thing. Eine Koproduktion mit Kaserne Basel, Ringlokschuppen Ruhr, Théâtre Vidy Lausanne, HAU - Hebbel am Ufer Berlin, Frascati Amsterdam, Theater Chur und Omanut.
Biografie
Boris Nikitin, in Basel geboren und Sohn ukrainisch-slowakisch-französisch-jüdischer Einwanderer, ist Theaterregisseur und Autor. Er inszeniert in der internationalen freien Szene und an deutschsprachigen Stadttheatern.
In seinen Stücken, Inszenierungen und Happenings beschäftigt sich Nikitin seit 2007 mit der Darstellung und Herstellung von Identität und Realität. Die Arbeiten suchen den Grenzgang zwischen Illusionstheater und Performance, zwischen Dokumentarischem, Propaganda und Fake. Dabei lösen sie den Widerspruch zwischen offensiven Dilettantismus und künstlerischer Virtuosität, zwischen Konzept und grosser theatraler Geste mitunter komplett auf. «Wie wenig andere führt Boris Nikitin das Theater derzeit an einen kritischen Punkt», schreibt die deutsche Fachzeitschrift «Theater heute».
Für sein Gesamtwerk wurde Nikitin 2017 mit dem J.M.R. Lenz - Dramatikerpreis der Stadt Jena ausgezeichnet. 2020 erhielt er den Schweizer Theaterpreis.