Klarheit im schlammigen Wirrwarr

Andrea Roskosch / UBA, digitale Collage: Eva Seiler

Klarheit im schlammigen Wirrwarr

Die Ausstellung "Klärschlamm" in der Kunsthalle Exnergasse

Er ist unordentlich und überbordend. Er ekelt und verunsichert. Er verwässert Grenzziehungen: Ist das lebendig oder tot, aktiv oder passiv, technisch oder organisch, Subjekt oder Objekt? Der Schlamm – und seine besondere Rolle als Klärschlamm – ist die zentrale Figur der Ausstellung "Klärschlamm" in der Kunsthalle Exnergasse.

„Diese braune, brodelnde Brühe in den Becken sieht nicht gerade einladend aus, aber betrachtet man sie unter dem Mikroskop, dann entfaltet sich ein ganzer Mikrokosmos.“ Norbert Kreuzinger, Professor an der Technischen Universität Wien und Experte für die Mikrobiologie des Abwassers, zeigt Eva Seiler und mir einige Fotografien aus dem Elektronenmikroskop. Sie zeigen fantastische Kleinstlebewesen; lange wurmartige, kugelrunde mit tausenden Wimpern bedeckte, mit eleganten Geißeln bestückte. Die braune Brühe, die uns interessiert, ist der Klärschlamm. Er ist der wichtigste Faktor in der Reinigung des Abwassers in einer Kläranlage und er soll uns dabei helfen, eine viel zu große, aber drängende Frage zu stellen: Wie können Menschen ein weniger zerstörerisches Verhältnis zu ihrer nichtmenschlichen Umwelt kultivieren? Um uns an diese Frage heranzutasten, verwandeln Eva Seiler, zehn Künstler_innen und ich die Kunsthalle Exnergasse zeitweise in eine Kläranlage.

Text: Julia Grillmayr

Blick für das ganz Kleine

Inspiration für dieses Vorhaben kam von der Philosophin Donna Haraway,  die in ihrem Buch „Unruhig Bleiben“ eine „Theorie in Schlamm und Durcheinander (muddle)“ praktiziert. „Nichts ist mit allem verbunden; alles ist mit etwas verbunden“, schreibt Haraway. Es braucht konkrete Beobachtungen, um große Zusammenhänge zu verstehen. Dabei lohnt es sich, den Blick für das ganz Kleine zu schulen. „Niemand lebt überall; jeder lebt irgendwo.“ Wir leben in einer europäischen Stadt, die viel Abwasser produziert. Durchschnittlich fließen 6.000 Liter pro Sekunde in die Wiener Hauptkläranlage ebswien in Simmering. Dass es auf der anderen Seite gereinigt in die Donau fließt, verdanken wir rund 18 Trillionen Kleinstlebewesen, die hungrig Kohlen- und Stickstoffverbindungen aufknacken und so Verschmutzungen aus dem Wasser lösen.

Christina Gruber
Julia Grillmayr

Those in the muddle

Dass Kleinstlebewesen eine so große Rolle in unserem hygienischen Alltag spielen, gefiel uns, weil wir, ganz im Sinne von Haraway, nach Weisen von „nicht-arrogantem Zusammenwirken mit all jenen, die sich im Wirrwarr befinden“ suchen wollten – all those in the muddle. Neben Norbert Kreuzinger und der ebswien haben wir dazu die Kläranlagen Linz-Asten, Innsbruck, Mödling und Himberg besucht. Von den wimmelnden Wimpern- und Pantoffeltierchen, von Paradeiser- und Vogel-Habitaten sowie dem Prozedere der biologisch-mechanischen  Abwasserreinigung ist in einer mehrteiligen Audio-Installation in der Ausstellung zu hören. Was uns überrascht hat war, dass die Menschen, die diese Anlagen betreiben und weiterentwickeln, unseren posthumanistischen Argumenten nicht nur zustimmten, sondern sie oftmals noch radikaler formulierten: Es seien die Mikroorganismen, die hier die Arbeit machen, die Technik stelle nur das Milieu bereit, indem sie florieren – und vor allem fressen – sollen.

Es ist also der Klärschlamm, der den opaken, braunen Morast, den wir durch die Kanalisation in Richtung Donau schicken, wieder in klares Wasser verwandelt. Gleichzeitig macht er einige Praktiken und Prinzipien einer Philosophie der Aufklärung brüchig: Er ist nicht leicht auseinanderzudividieren. Es ist nicht klar, wie die Handlungsmacht auf menschliche und nichtmenschliche
Akteur_innen verteilt ist. Vor allem wird deutlich, wie schwierig es ist, Technik und Biologie, Mensch und Natur klar zu trennen. Die Kläranlage ist eine hochtechnische Einrichtung, die aber nichts anderes macht, als den natürlichen Prozess der Selbstreinigungskraft des Wassers auf engen Raum und wenig Zeit zu verdichten.

Künstlerische Positionen


Die Verdeutlichung dieser Hybriditäten, Verklärungen und Vermischungen ist der Aspekt, an dem sich die künstlerischen Positionen von „Klärschlamm“ treffen. Während die Arbeiten von Saskia Te Niklin und Lukas Posch das Animalische von alltäglichen, menschengemachten Materialen und Objekten hervorkehren, nimmt sich Michèle Pagel eine tierische Patronin, die erlaubt, landwirtschaftliches Ackern und Kunstförderung zusammenzudenken.

Sophie Csenar und Georg Oberlechner gehen der Ko-Evolution des Menschen mit jeweils einer konkreten Tierart nach. Csenar interessiert sich für die wabbelige Allround-Zutat Schweinegelatine, Oberlechner für die allzumenschlichen Zähne des Pacu-Fisches.

Auch Christina Grubers Aquarien-Installationen machen die romantische Vorstellung von unberührter Natur unmöglich. Sie sind Versuchsanordnungen, die einem Phänomen nachgehen, das Gruber „digitales Wasser“ nennt: Viele Server-Zentren verwenden natürliche Gewässer, um ihre Maschinen zu kühlen, und kreieren an ihren warmen Unterwasser-Rohren unabsichtlich Mikro-Ökosysteme.

Tomash Schoiswohl
Julia Grillmayr

Anastasia Jermolaewa fragt nach den bevorzugten  Lebensbedingungen von Schimmelkulturen. Mit Harz überzogen, werden in ihren Arbeiten diese ephemeren Formationen konserviert.

Der „Schlammfilm“ von Tomash Schoiswohl klopft die gesellschaftlichen Tabus rund um Fäkalien und Abwasser ab. Er ist aus all dem „grauslichen Zeug“ geschöpft, das in Wien verdrängt wird, aber über Umwege wieder an die Oberfläche gelangt.

Auch Heribert Friedls Arbeit hinterfragt gesellschaftliche Normen. Seine Installation dokumentiert, wie sich die reduzierte Lebensweise zweier Menschen und ihre Praktiken des Recyclings stofflich in ihren Kleidungsstücken abzeichnet.

Eine liebenswerte, multispezielle Lebensgemeinschaft des Exzesses ist wiederum in Leon Höllhumers Arbeit zu sehen, die den WG-Alltag von Sandra mit Robert, einem tollpatschigen Roboter, und dem Fantasiewesen Floppy porträtiert. Hier wird Technikoptimismus auf die Schaufel genommen – und vielleicht überhaupt die Idee, man könne als Mensch von einer „Kollaboration“ mit nichtmenschlichen Lebewesen sprechen.

Nicht-arrogante Kollaborationen mit dem non-humanen Wirrwarr eingehen, das sind tatsächlich sehr große und im Schlamm verrinnende Fußstapfen, in die wir zu treten versuchen. Dass dies zwar immer nur ein stückweit, aber schlau und lustvoll gelingen kann, zeigt jede einzelne künstlerische Position in „Klärschlamm“.

***

Julia Grillmayr kuratiert gemeinsam mit der Künstlerin Eva Seiler die Ausstellung „Klärschlamm“ in der Kunsthalle Exnergasse. Sie ist Journalistin und Literatur- und Kulturwissenschafterin, die an der Kunstuniversität Linz zu zeitgenössischer Science Fiction und Zukunftsszenarien forscht, an der Universität für Angewandte Kunst in Wien zu Posthumanismus lehrt und bei Radio Orange die Sendereihe „Superscience Me“ gestaltet.

Klärschlamm

Mit Arbeiten von Sophie Marie Csenar, Heribert Friedl, Christina Gruber, Leon Höllhumer, Anastasia Jermolaewa, Georg Oberlechner, Michèle Pagel, Lukas Posch, Tomash Schoiswohl, Saskia Te Nicklin

Kuratiert von Julia Grillmayr und Eva Seiler

Do 23.1. bis Sa 29.2., Kunsthalle Exnergasse

Eröffnung: Mi 22.1., 19 Uhr
Symposium mit drei Impulsvorträgen zum Klärschlamm: Sa 1.2., 16 Uhr
Finissage mit Performances: Fr 28.2., 18 Uhr

Nähere Infos

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